Damme / Landkreis Vechta (LCV) Es gibt Momente, da durchschaut sie selbst, was sie macht. Und dann wieder ist sie gefangen in ihrem Kreisen um’s Abnehmen, um Kilos und Kalorien.
Angefangen hat für Petra alles mit zwölf: "Du hast ja voll den dicken Bauch", erinnert sich die gut 40-Jährige an ein Hänseln im Schwimmbad. Und in der Tat: Über die Models beim Musiksender MTV sagt sie irgendwann: "Die sehen toll aus." Schlank-sein wird ihr Ideal. Ihr Selbstwertgefühl sei damals nicht überaus stark gewesen, erinnert sie sich heute.
Knäckebrot statt Wurst
Mit der Folge, dass die Teenagerin das Abendessen weg lässt, lieber zu Knäckebrot greift als zu anderem und vermehrt Obst ist.
Tiefpunkt ihres Gewichtes: 52 Kilo bei mehr als 170 Zentimeter Körpergröße. "Viel Zeit und Kraft sind da hineingegangen", schildert Petra ihr Leben im Alter von 17 und 18 Jahren.
Essen - erst, wenn der Stress abfällt
Drei Methoden habe sie angewandt: Hunger, exzessiven Sport oder auch Erbrechen. Eine kurze Phase der Esssucht habe sie als noch schlimmer erlebt, "weil ich da keine Kontrolle mehr hatte." Und überhaupt: Essen sei einfach immer Thema gewesen.
Wie es das auch heute noch für sie ist: "Frühstücken tue ich nicht", beschreibt sich die erwachsene Frau. "Mittags gibt’s ein Brot und abends erst mal jede Menge Obst." Und erst, wenn der Tag zu Ende, der Stress abgefallen sei, gönne sie sich das, was ihr Körper brauche, um in Alltag und Beruf ihre Frau zu stehen. Eine Weise, mit der sie sich eingerichtet habe zu leben.
Hohe Dunkelziffer
Und doch ist es ihr auch heute noch am liebsten, wenn sie alleine essen kann, und sie niemand auf das Thema anspricht.
Damit gehört Petra zu dem einen Prozent der Frauen, die in Deutschland an Magersucht leiden. "Wobei es eine hohe Dunkelziffer gibt", so die Fachärztin für Psychotherapie und Psychiatrie, Professor Dr. Dunja Hinze-Selch (Neuenkirchen-Vörden). Auch die Zahl der Frauen, die nicht am Vollbild der Magersucht litten, liege weit höher.
Wieder Freiheit im Leben
"Viele der Betroffenen haben lange Zeit keine Krankheitseinsicht", weiß die Expertin für Ernährungsmedizin. In ihrem täglichen Kampf um Macht und Autonomie hätten sie vielmehr das Lebensgefühl: "Ich hab’s im Griff. Ich bin top." Dabei hätten die Betroffenen durchaus immer "einen Wolfshunger", den es zu beherrschen gelte.
Ihr Rat in Anbetracht einer Störung, die auch tödlich verlaufen könne: Die selbst herbeigeführte Mangelernährung "nicht auf die leichter Schulter nehmen". Professionelle Behandlungen seien heute keine "Kampftherapien mehr, bei denen es nur darum ginge, einen bestimmten Bodymaßindex nicht mehr zu unterschreiten. Ziel sei vielmehr, "wieder mehr Freiheit für das Leben zu gewinnen", so Hinze-Selch. Und zu erkennen, welche Funktion das gestörte Essverhalten im Leben habe.
Erstes Treffen am 7. Dezember
Für einen ersten, sehr guten Schritt hält die Medizinerin Selbsthilfegruppen. In der sich Petra beispielsweise wünscht, "Seelenballast loszuwerden und neue Sichtweisen zu bekommen". Bei früheren, aber weit entfernt tagenden regelmäßigen Treffen habe sie diese Erfahrung gemacht. "Im Erzählen geht einem manchmal selbst auf, welch einen Unsinn man macht", sagt sie.
Auch erhofft sie sich damit, dass die Themen ‚Magersucht‘ und ‚Essstörung‘ aus der Tabuzone herauskommen und alle einen offeneren Umgang damit finden. Ein erstes Treffen der neuen Selbsthilfegruppe findet am Donnerstag, 7. Dezember, um 17 Uhr in Damme statt. Weitere Infos bei der Kontakt- und Beratungsstelle Selbsthilfe im Landes-Caritasverband, Madlen Seelhoff, Tel. 04441/8707-632.
Dietmar Kattinger, 15,11.2017
Pressemitteilung
Wenn der Kopf nur noch um Kalorien kreist
Erschienen am:
15.11.2017
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