Lohne (LCV) Es hat beinahe etwas Mystisches: Wenn Anselm Grün am steinernen Ambo steht, schon seit vierzig Minuten spricht und sich dann das milde Licht der Abendsonne durch die bunten Fenster der Lohner St. Josefs-Kirche bricht. Wenn kaum ein Husten in der quadratischen Kirche zu hören ist, kein unruhiges hin und her Rutschen der 550, die an diesem Abend ins südoldenburgische Lohne gekommen sind.
Dabei wird es das Thema ‚Gier‘, über das er auf Einladung des Landes-Caritasverbandes im Rahmen der Aktion ‚Wandelherz‘ am Sonntag, 28. Februar, gesprochen hat, nur zur Hälfte gewesen sein.
Viele werden gekommen zu sein, um den, der über 30 Jahre Wirtschaftschef der unterfränkischen Abtei Münsterschwarzach war, persönlich zu erleben. Verständlich: Kein Power-Point taucht auf bei dem 71-Jährigen mit dem rauschenden, grauen Bart. Keine Hand-outs, kein hektisches Hin- und Herlaufen auf der Bühne wie es Wirtschaftstrainer oder amerikanische Prediger tun.
Ruhig sitzt er vor Beginn seines Vortrags in der ersten Reihe. Gesammelt. Holt nur einmal noch einmal den DIN-A-5-formatigen Zettel unter seinem schwarzen Ordensgewand hervor, auf dem er sich in winziger Größe handschriftlich Notizen gemacht hat.
Die Gier in Ehrgeiz verwandeln, rät der Autor von über 300 Büchern, die in 30 Sprachen übersetzt worden sind. Und belehrt alle eines besseren, die glauben, dass er das ‚Streben nach Mehr‘ mit Zeter und Mordio verteufeln würde. "Wer keine Gier hat, hat keinen Antrieb", stellt er vielmehr klar. Auch im Fußball ginge es darum, Gier nicht abzuschneiden, sondern zu verwandeln.
Dass der weltweit gefragte Redner selbst asketisch lebt, können die Zuhörer in der Lohner St. Josefs-Kirche erahnen. Jene, die aus Edewecht im Norden oder aus Osnabrück im Süden angereist sind. Jene aus dem Emsland, die sich schon eine Stunde vor Beginn einen guten Platz in der zweiten Reihe ergattert hatten.
"Genießen kann nur, wer verzichten kann", stellt der Benediktiner unmissverständlich klar. "Wer nicht verzichten kann, kann kein starkes Ich haben", sagt er, der eine einfache Sprache spricht. Er, dessen einzige Hilfsmittel Lesebrille und Zettel sind.
Und eben diese Art zu sprechen muss es sein, welche die Menschen fasziniert. Die auch wegen seiner klaren Worte kommen: "Es gibt nichts Heiliges mehr, keinen geschützten Bereich", kritisiert er. Auch den Klausurbereich in seinem Kloster würden viele am liebsten betreten, sagt Anselm Grün, mit dem zusammen sich ein junges Paar vor Beginn des Vortrags ein Handyfoto ergattern.
Das Buch ‚Bete und werde reich‘ habe er gleich in den Papierkorb geworfen, lehnt er die im amerikanischen vorkommende ‚Erfolgstheologie‘ ab. Auch vom Titel "Wie Du Dich in sieben Tagen vollständig ändern kannst" distanziert sich Grün. "Im Ändern steckt immer etwas Aggressives", sagt der promovierte Benediktiner, dessen Grundthema die Wandlung ist.
"Hinter der Gier steckt oft ein Mangel an Zuwendung", fährt der 71-Jährige fort, in dessen Gesicht sich kaum eine Falte findet. Gerade über Erbstreitigkeiten werde oft ausgetragen, dass der Sohn oder die Tochter sich vom Vater weniger geliebt fühlte als die Schwester.
Und das muss es sein, was auch mit weit über 800 Menschen im hessischen Friedberg eine Stadthalle fast zum Bersten bringt: Anselm Grün moralisiert nicht. Er verurteilt nicht. "Die Gier nicht unterdrücken", rät er vielmehr. "Sonst kommt sie an einer anderen Stelle heraus", empfiehlt der Therapeut.
Sich die Sucht nach immer Mehr eingestehen, beschreibt er einen ersten von zwölf Schritten aus dem Raffen. Sie zu Ende denken, damit sie nicht zum Fass ohne Boden werde. "Die Kraft der Leidenschaft für das spirituelle Leben nutzen", gibt der Autor von über 300 Büchern seinen weiblichen ebenso wie männlichen Zuhörer mit.
"Die Sehnsucht nährt uns, nicht die Erfüllung", gehört zu seinen zentralen Sätzen, bevor er alle 500 bittet aufzustehen und sich ihrer Hände bewusst zu werden. Ein ‚Ritual‘ nennt er es, eine persönliche Besinnung, mit der er abschließt.
Fast tröstlich, dass er sich an Süßem erfreut, das er als Dank bekommt, aber natürlich erst nach der Fastenzeit genießen wird. Er, der noch am Sonntag Abend nach seinem einstündigen Vortrag alleine im silberfarbenen VW-Golf die 450 Kilometer in die Abtei in der Nähe von Würzburg zurück fahren wird. Er, der - wie ihn jemand beschrieben hat - im Klosteralltag "ein ganz normaler Pater ist."
Weitere Infos unter www.lcv-oldenburg.de oder www.wandelherz.de
Dietmar Kattinger, 29.02.2016