Herr Geers, die Diagnose der ‚Bürokratie-Last auf dem Buckel der Pflegenden‘ ist längst gestellt. Wie sieht es mit der Therapie aus?
Die Therapie setzt bundesweit leicht ein, bei uns im Oldenburger Land schon stärker. Als erster Träger in Niedersachsen schult die Caritas die Verantwortlichen aller unserer 45 oldenburgischen Einrichtungen in der ambulanten und stationären Altenpflege nach einem neuen Dokumentations-System zur "Entbürokratisierung in der Pflege".
Was wird der Patient von diesem neuen ‚Heilmittel‘ spüren?
Bisher war es so, dass eine Pflegekraft 30 Prozent ihrer Arbeitszeit für’s Dokumentieren am Rechner gebraucht hat. Sie musste pro Bewohner und Tag zwischen 100 bis 150 Einzelleistungen durch Klicks am Rechner dokumentieren.
Sie musste einen Haken setzen bei ‚Oberkörper gewaschen‘ oder ‚Zahnpflege durchgeführt‘ oder bei ‚gekämmt‘. Wurde jemand innerhalb eines Tages sieben Mal zur Toilette gebracht, so waren das sieben Klicks ebenso wie sieben Häkchen für das anschließende Richten der Kleidung etwa eines Altenheimbewohners.
Das wird alles wegfallen. Die Pflege wird entspannter werden. Das ist ein regelrechter Paradigmenwechsel, der jetzt vollzogen wird. Daran ändert auch die ‚Äußerlichkeit‘ nichts, dass die Noten des Pflege-TÜVs doch erhalten bleiben sollen.
Das heißt jetzt Jubelschreie allerorten!?
Sollte man meinen. Jubelschreie ja, insofern, als der Pflegekraft jetzt wieder eine Verantwortung zugetraut wird. Musste sie bei der Aufnahme eines Altenheimbewohners bisher sieben Checklisten ausfüllen, um dann zu entscheiden, ob er gefährdet ist, zum Beispiel einen Dekubitus, ein Druckgeschwür zu bekommen, kann sie das Urteil künftig alleine auf Grund ihrer Berufserfahrung fällen.
Jubelschreie nein: Viele Pflegekräfte dachten bisher zugespitzt formuliert: ‚Stehe ich mit einem Bein im Gefängnis, wenn ich einen Haken vergesse?‘ Viele Mitarbeitende können noch nicht glauben, dass der Gesetzgeber hinter ihrer fachlichen Einschätzung steht.
Interview: Dietmar Kattinger, 19.06.2015