Gewalt gegen Frauen: Was fällt Ihnen als Erstes dazu ein?
Die häusliche Gewalt, die unsere Frauen erleben.
Das heißt, nicht in der Öffentlichkeit findet die Gewalt am häufigsten statt, sondern zu Hause!?
Richtig. Dort, wo eigentlich Schutz und Geborgenheit sein sollten, erfahren Frauen und auch Kinder von jetzt auf gleich Brutalität. Das macht es besonders schwer. Auch, dass die Gewalt von jemandem ausgeübt wird, dem man vertraut.
Mit der Folge….
…dass es oft lange Zeit braucht, bis die Betroffenen wieder Sicherheit gewinnen. Diese Angst hemmt und lähmt. Die Frauen können nicht nach vorne schauen.
Was geschieht bei häuslicher Gewalt?
Es gibt unterschiedliche Formen. Wir sprechen von der psychischen, körperlichen, sexualisierten oder ökonomischen Gewalt. Aber als erstes kommt immer die psychische Gewalt.
Die steht an erster Stelle…
Ja. Beleidigungen, Demütigungen, Erniedrigungen. Der Partner verbietet Kontakte nach außen. Es folgt die Isoliertheit der Frau. Er verwehrt ihr, selbständig zu werden. Sie bekommt kein Geld, kein Fahrzeug. Oft hat der Mann seiner Partnerin das Handy weggenommen. Oder sie muss es ihm immer zeigen. Oder die Geräte sind miteinander verbunden.
Wie lange dauert es bis zum ersten Schlag?
Das ist ganz unterschiedlich. Das kann von ein paar Wochen gehen, aber auch ganz lange dauern. Die meisten Frauen erdulden diese Gewalt viele Jahre. Die Wenigsten gehen nach dem ersten Schlag. Vor allem, wenn Kinder dabei sind. Leichter fällt es ihnen, zu gehen, wenn nur ihre Kinder von der Gewalt betroffen sind.
Was kommt nach der psychischen Gewalt?
Die körperliche. Wenn das Aggressionspotential so hoch ist, dass der Mann seine Gefühle nicht mehr steuern kann, schlägt er mit der flachen Hand oder der Faust. Die Opfer werden zu Boden geworfen, an den Haaren gezogen. Bekommen Tritte in den Bauch. Der Kopf wird gegen die Wand geknallt. Nasenbluten. Frauen sind mit Waffen bedroht worden. Wurden im Schlaf aufgeschreckt, weil ihr Partner auf ihnen kniete und anfing, sie zu würgen.
Es kann also bis zur Lebensbedrohung gehen….
Ja. Oft wird als erstes der Teller mit einer Hand vom Tisch gewischt. „Deinen Fraß esse ich nicht.“ Irgendwann artet es aus. Die Frau kann in dieser Situation machen, was sie will. Sie kann ihren Mann nicht mehr steuern. Hält sie still, kann es sein, dass der Mann noch mehr auf sie einschlägt. Wenn sie sich gegen ihn wehrt, wird es noch schlimmer.
Was ist die Lösung?
Ganz schnell Hilfe finden, um da heraus zu kommen.
Das geht nur mit Hilfe von außen!?
Das will ich gar nicht sagen. Aber die Frauen wissen oft überhaupt nicht, welche Rechte ihnen zustehen und welche Angebote es gibt. Ihr Mann droht mit Sätzen wie: „Du bekommst die Kinder nicht“, „Wo willst Du denn hin?“, „Dir glaubt doch sowieso niemand!“ „Du bist doch psychisch krank!“
Was tun Sie vom Frauenhaus aus in einer solchen Situation?
Zuhören. Der Frau Glauben schenken; sie nicht für ihre Situation verantwortlich machen. Sie informieren und unterstützen. Das stärkt. Wir bieten ihr an, zu uns in die ambulante Beratung zu kommen.
Drängen sie die Betroffenen ins Frauenhaus?
Nein, die Frauen entscheiden selbst, welchen Weg sie gehen. Wir verurteilen niemanden, egal, wie sich die Person entscheidet. Auch dann nicht, wenn die Frau weiter bei ihrem Partner bleibt.
Warum ziehen die Geschlagenen nicht sofort aus?
Oft hat ihnen niemand geglaubt. Häusliche Gewalt ist eine ganz intime Angelegenheit. Das ist sehr, sehr beschämend. Auch fühlen sich Frauen oft selbst dafür verantwortlich. Der Mann sagt ihnen „Du bist selbst schuld daran.“ „Warum habe ich Dich überhaupt geheiratet!?“ Oder: „Dich werde ich nicht heiraten!“ obwohl beide schon vier gemeinsame Kinder haben. Nach und nach verliert die Frau ihr Selbstwertgefühl. Deshalb kann es der Mann auch solange machen.
Wer schlägt mehr: der Professor oder der Arbeiter?
Gewalt gibt es in allen sozialen Schichten.
Hat sie in der Corona-Zeit zugenommen?
Das kann ich nicht sagen, obwohl ich es vermute. Vielleicht sind es Frauen, die zu sich selbst sagen: „Diese Zeit überstehst Du.“ Aber was jetzt im Herbst / Winter auf uns zukommt: Da mache ich mir Sorgen.
Haben Sie manchmal auch Verständnis für die Täter?
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Gewalt angewendet wird. Es gibt immer noch einen anderen Weg der Verständigung.
Wenn man den überschminkten Bluterguss der Frau sieht: Was soll man als Nachbarin, Schwägerin oder Kollegin tun?
Schon Hilfe anbieten. Das braucht allerdings ganz viel Feingefühl. Sonst kann es sein, dass die Frau sich noch mehr zurückzieht. Vielleicht diskret eine Telefonnummer geben.
Und wenn man die Schläge durch das gekippte Fenster hört?
Immer die Polizei rufen. Immer, wenn man hört, dass Gewalt ausgeübt wird: bei Lärm, bei Schreien. Nicht weghören. Auch sollten Ärzte nicht immer glauben, dass eine Frau die Treppe runtergefallen oder gegen einen Türrahmen gelaufen ist.
Was raten Sie den geschlagenen Frauen selbst?
Wehrt Euch. Lasst es Euch nicht gefallen. Ihr findet Hilfe. Gewalt ist kein legitimes Mittel.
Infos für einen Kasten:
- Maria Neemann, Diplom-Sozialpädagogin, arbeitet seit 1988 im Frauen- und Kinderschutzhaus in Vechta.
- Durchschnittlich werden 40 Frauen und 52 Kinder pro Jahr im Frauenhaus aufgenommen.
- Seit Gründung 1987 haben 1.440 Frauen und 1730 Kinder vorübergehend dort gewohnt. Es gibt fünf Plätze für Frauen und Mütter sowie bis zu 12 Plätze für Kinder.
- Pro Jahr gibt es 200 Anfragen von Frauen, die nicht oder noch nicht aufgenommen werden wollen, sondern telefonisch Rat suchen.
Um sie zu schützen kommen besonders gefährdete Frauen aus dem Raum Vechta nicht selten in andere Frauenhäuser in Deutschland. Umgekehrt kommen Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Vechta.
- Träger ist der Sozialdienst katholischer Frauen in Vechta.
www.skf-vechta.de
- Man kann sich anonym oder mit anderem Namen melden.
Kontakt: 04441/ 83838.
- Niedersachsenweit gibt es 43 Frauenhäuser, drei Mädchenhäuser und 46 Gewaltberatungsstellen.
- Mehr zum Bericht der Landes-Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen unter www.lag-fw-nds.de