Bramsche / Cappeln / Vechta / Oldenburger Land (LCV) Man hört eine Stecknadel fallen, als sie Passagen aus dem Buch "Wachgerüttelt und trockengelegt" vorlesen: Drei von insgesamt zehn Autoren, die durch Alkohol den Tod bereits am Horizont sahen. Als Betroffene oder Angehörige.
Willi Klein aus Bramsche beispielsweise: Es habe schleichend begonnen, erzählt der heute 81-Jährige. Früher im öffentlichen Dienst tätig, "konnte ich den Tag nicht mehr ohne Alkohol bewältigen", erinnert er sich.
Im Büro habe er sich gequält. Schließlich der Kontrollverlust. Sein Weg aus dem Tal wieder nach oben: Die Forderung des Arbeitgebers, in eine Suchtklinik zu gehen und dort der Satz: "Es lohnt sich, trocken zu bleiben." Seit über 30 Jahren gehört er inzwischen der Dammer Kreuzbundgruppe an und lebt ein zufriedenes Leben.
Erschütternd auch das, was Heinrich Bruns aus Cappeln erlebt hat. Dinge, über die er heute nur noch den Kopf schütteln kann: Mit 15 in der Lehre immer wieder der Satz der älteren Gesellen: "Willste nicht mittrinken!?" Auch als Soldat bei der Bundeswehr sei Alkohol ein großes Thema gewesen.
"Und überhaupt!", sagt der heute 73-Jährige: "In den 70er / 80er Jahren wurde unheimlich viel getrunken. Wo Du hinkamst wurde gefragt: ‚Was soll ich Dir anbieten?‘" Gemeint war nicht Kaffee oder Tee, sondern Bier und Schnaps, so der gelernte Schlosser. "Und das egal zu welcher Tageszeit."
Das Ergebnis für ihn: Er wurde ein Spiegeltrinker. Bedeutet: Er brauchte Alkohol, um den Tag überhaupt zu bestehen. "Bei 1,5 Promille konnte ich mich am besten konzentrieren." Noch heute erinnert er sich an das erste Zittern beim Autofahren. Als der gelernte Schlosser morgens irgendwann etwas zusammenbauen soll, geht das erst nach einer Flasche Alkohol. Anfang 30 war er damals. Und erkennt am 9. August 1982: "So geht das nicht weiter." Er schafft es, "den Schalter umzulegen" und hat seit fast 40 Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr zu sich genommen.
Eindrücklich schildert Karin Evers aus Vechta-Langförden ihren Leidensweg als Angehörige: "Wir haben unser Haus verloren und hatten nichts mehr." Zu Hause hätte ihr Mann nicht getrunken, sondern war immer "Auf Tour". Als echte Co-Abhängige beschreibt sie sich: Immer wieder musste sie ihn abholen. Einmal mit 3,2 Promille.
Der Wendepunkt für ihren Mann: Eine Nacht in der Ausnüchterungszelle der Polizei. Und ihr eigener Neuanfang: Die Koffer ihres Mannes vor der Türe und die spätere Vereinbarung, die bis heute gilt: "Wenn Du eine Flasche trinkst, stehen Deine Koffer vor der Türe." 2013 gründet sie eine Angehörigengruppe. "Die Alkoholiker bekommen eine Therapie. Die Angehörigen werden übersehen", sagt sie.
Doch der Weg in den Alkohol führt nicht nur über das Trinken schon in der Jugend, warnt die oldenburgische Kreuzbund-Vorsitzende Monika Gerhards: "Wer Alkohol später beispielweise bewusst einsetzt, um seine Stimmung zu verändern, ist gefährdet." Dabei habe niemand vom Kreuzbund etwas gegen ein Glas Wein zum Essen.
Wer aber immer auf sein Feierabendbier zustrebe, wer das Glas Rotwein täglich zum Abschalten oder regelmäßig zum Einschlafen brauche, sei in Gefahr. Überschritten sei die rote Linie bei einem "Filmriss" oder wenn man morgens zitternd aufwache. Auch dann, wenn jemand Alkohol vor Angehörigen verstecke.
Ihr Rat: Ein Gespräch mit dem Hausarzt, einer Suchtberatungsstelle oder als auch mit jedem Mitglied des Kreuzbundes.
Im Oldenburger Landesverband gibt es aktuell 21 Gruppen zwischen Brake und Damme, 160 Mitglieder sowie weitere 200 Personen, die an den Gruppentreffen als Nicht-Mitglieder teilnehmen. Offen werde dort gesprochen, schildert Gerhards. In einem Schutzraum. Auch nachts könne man sich gegenseitig anrufen, wenn der Suchtdruck groß werde und der Köper nach Alkohol schreie.
"Wachgerüttelt und Trockengelegt" ist während der Corona-Zeit in Zusammenarbeit mit der Autorin Sonja Bullen entstanden, so die Caritas-Suchtreferentin Madlen Seelhoff. Es kostet fünf Euro plus Porto und ist erhältlich bei: Karin Evers, Tel. 04447/8247, E-Mail: karin.evers@evers-schalung.de
Unterstützt wurde das Projekt von den Krankenkassen IKK und AOK sowie der Josef-Neumann-Stiftung.
Pressemitteilung
„Bei 1,5 Promille konnte ich mich am besten konzentrieren“
Erschienen am:
15.10.2021
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