Cloppenburg-Stapelfeld. Obwohl die Tafeln in Deutschland besser geworden sind, fühlen sich die Tafelnutzer laut Prof. Dr. Stefan Selke (Furtwangen) beschämt und resignativ. Das hat der Soziologe und Tafelexperte in aktuellen Studien herausgefunden, die er jetzt beim Caritas-Fachforum "Hilfen zwischen Sozialstaat und Barmherzigkeit" in Cloppenburg-Stapelfeld vorstellte.
Außerdem sei 20 Jahre nach Gründung der ersten Tafel in Berlin die Verteilung der Tafeln in Deutschland nicht bedarfsgerecht. Die Tafeln seien nicht dort, wo sie am meisten gebraucht würden. Die größte Zahl von Tafeln gebe es in Nordrhein-Westfalen, aber die Armutsdichte sei in Sachsen-Anhalt und auch in den anderen Neuen Bundesländern am größten. "Tafeln werden nicht da gegründet, wo sie am nötigsten sind", sagte Prof. Dr. Selke, sondern dort, wo Menschen mit Initiative sie gründen möchten und entsprechende Netzwerke vorhanden sind", so der Referent. Ein Problem ist nach seiner Darstellung, dass es "keine umfassende, strukturelle und nachhaltige Armutsbekämpfung in Deutschland gibt."
Prof. Dr. Selke forderte, die Tafelnutzer mehr an der Arbeit der Tafeln teilhaben zu lassen, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Allerdings warnte er zugleich vor zu viel Aktionismus: "Die Tafel ist ein Stressraum, in dem Menschen oft nicht angesprochen und beraten werden möchten", das habe seine Studie ergeben.
Hauptanforderungen an Tafeln sind laut seiner Analyse, dass niemand ausgeschlossen werden soll, immer genug zu essen da ist und effizient gearbeitet wird. Sozialkaufhäuser und Möbelhäuser haben nach seinen Untersuchungen die höchsten Ansprüche an sich selbst. Die Tafeln lägen eher im Mittelfeld.
Selke stellt auch fest, dass die Wahrnehmung der Tafelanbieter und der Nutzer auseinandergehen: Helfer beobachten bei den Nutzern in erster Linie Dankbarkeit und an letzter Stelle Resignation. Wenn man aber die Nutzer selbst fragt, sieht es umgekehrt aus: Die Resignation steht bei ihnen an erster Stelle, Dankbarkeit wird als Pflicht und Bürde gesehen. "Weil ich zur Tafel gehe, gehöre ich nicht mehr zur Gesellschaft", so die Aussage von Tafelgängern. Menschen schämen sich, zur Tafel zu gehen.
In seiner Begrüßung zur Tagung sagte Caritasdirektor Dr. Gerhard Tepe: Die große Nachfrage nach Tafeln und vergleichbaren Diensten belege ihre Notwendigkeit in der aktuellen wirtschaftlichen Situation. Und das beeindruckende Engagement der Helferinnen und Helfer sei nicht hoch genug einzuschätzen. An die Adresse der Spitzenverbände und Kirchen gewandt, forderte er: "Wir müssen uns für die Veränderung der Rahmenbedingungen verstärkt einsetzen, damit es nicht dazu kommt, dass beispielsweise die Nutzer solcher Angebote lediglich in einer Parallelwelt agieren."
Auch sollte sich die Hilfe aus seiner Sicht nach Möglichkeit nicht nur auf die Lebensmittelausgabe beschränken, "sondern es sollten ergänzende Hilfen wie Beratung im Sinne eines Netzwerkes mit aufgenommen werden. Idealtypisch werden die Nutzer bei der Geltendmachung ihrer Rechte unterstützt und durch flankierende befähigende Angebote und Begegnungsmöglichkeiten die Selbsthilfekräfte gestärkt".
Prälat Peter Kossen, Vorsitzender des Caritasrates, sagte, dass die größere Not oft die seelische Ausgrenzung sei, die Selbstverachtung, die Sinn- und Perspektivlosigkeit. Er plädierte für eine Beteiligung der Bedürftigen an der Zubereitung des Essens, die Einbindung in die Arbeit und in die Verantwortung. "Den Armen etwas zutrauen, nämlich dass sie selbst etwas tun können für sich und auch für andere, das scheint mir ein zielführender Ansatz zu sein einer umfänglichen Sorge für den Menschen in Not", betonte er. Und nur in dieser umfassenden Sorge liege die Chance, Menschen auf Dauer aus der Bedürftigkeit heraus zu führen.
Dietmar Kattinger
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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