Um die geschlossene, intensivtherapeutische Wohngruppe (GITW) in Lohne - die einzige ihrer Art in Niedersachsen - gab es zu Beginn vor vier Jahren viel Wirbel. Wie ist die Lage jetzt?
Die Lage hat sich deutlich entspannt. Wir sind mit diesen Angebot in der Jugendhilfe sowohl in Niedersachsen als auch im gesamten Bundesgebiet etabliert als ein Angebot, das von Seiten der öffentlichen Jugendhilfeträger angenommen wird.
Wir haben eine Öffnung der Gruppe vorgenommen, so dass es möglich ist, dass man innerhalb der Betreuung in der GITW wechseln kann von einem geschlossenen in einen offenen Bereich. Dies hat zur Entspannung auch im gesellschaftlich-politischen Bereich beigetragen.
Überall spricht man von Inklusion. Sie machen dennoch Exklusion in eine geschlossene Gruppe hinein!?
Diese Frage taucht immer wieder auf. Wir haben hier ja schwerst traumatisierte Kinder, die sich selbst und andere gefährden. Es gibt nach wie vor viele Versuche, die wir unterstützen. diese Kinder im anderen, offenen Bereich zu betreuen.
Nur muss man ja leider feststellen, dass diese Versuche im Vorfeld alle gescheitert sind, was wiederum eine Voraussetzung dafür ist, dass wir hier in Lohne die Kinder überhaupt aufnehmen - neben dem richterlichen Beschluss.
In den offenen Bereichen der Jugendhilfe hat es häufig 10 bis 15 Versuche gegeben einschließlich von Auslandsaufenthalten, die bei diesen Heranwachsenden alle nicht gegriffen haben. Würden wir sie nicht aufnehmen, wäre eine Alternative, die Kinder und Jugendlichen sich selbst zu überlassen. Sie würden dann auf der Straße leben und würden keine Hilfe mehr bekommen.
Das heißt trotz des Inklusions-Hypes stehen Sie dazu, dass es für eine begrenzte Zeit heilsam sein kann, zu exkludieren!?
Richtig, nur für eine begrenzte Zeit der Krisenintervention. Aber auch nicht alle Jugendlichen. Auch wir können nicht alle aufnehmen. Wir müssen in jedem Einzelfall schauen, ob unsere Maßnahme eine Hilfe sein kann.
Wen könnten sie nicht aufnehmen?
Ja, zum Beispiel Jugendliche - da geht es dann häufig nicht mehr um Kinder - , die ein so hohes Ausmaß an Gewaltbereitschaft oder kriminelle Energie haben, dass es auch unseren Rahmen übersteigt.
Welche Station bleibt den Kindern dann?
Das muss man in jedem Einzelfall prüfen. Es gibt nach uns im Prinzip nichts mehr. Wenn wir scheitern, ist häufig nur noch der Jugendstrafvollzug die Anschlussmaßnahme. Von den 27 betreuten Kindern, die wir in den vier Jahren hier hatten, war dies einmal der Fall.
Sie sagen, dass die Kinder zunächst Opfer waren und dann Täter wurden. Erleben die Kinder heute mehr und Schlimmeres als früher? Sind die Traumata heftiger?
Auch wenn das Ausmaß an Traumata heute immens ist, kann ich das nicht beantworten. Was ich aber feststelle, ist, dass Eltern heute mehr mit sich selbst beschäftigt sind, weil sie ihr eigenes Überleben - auch im finanziellen Sinn - sichern müssen.
Eltern sind häufig nicht mehr dazu in der Lage, Kindern das zu geben, was sie zu einem gesunden Aufwachsen brauchen: nämlich Beziehung, Kontinuität, Verlässlichkeit, etc.. Sie sind teilweise selbst damit beschäftigt, ihren eigenen Platz im Leben in dieser schnelllebigen Gesellschaft zu finden. Generell habe ich den Eindruck, dass weniger Zeit für Kinder bleibt.Und Fakt ist, dass die Zahlen der Kinder, die nicht mehr in ihren Familien betreut werden, bundesweit zu nehmen.
Interview: Dietmar Kattinger, 07.05.2015