Lastrup (LCV) Zugewanderte sind eine Last - ein Vorurteil, das in die-sen Tagen nicht selten zu hören ist. Das genaue Gegenteil beweist Shakeel Mirza aus dem sogenannten ‚Haus Wesselmann‘ im Lastru-per Gemeindeteil Nieholte.
Seit Mai gibt der ausgebildete Lehrer für Mathe und Physik den Schwestern Laura und Melanie* aus Lastrup Nachhilfe bei deren Rechenkünsten. Und das mit Freude.
Fernsehen "kills your mind"
Vor acht Monaten nach Deutschland gekommen und im "Haus Wesselmann" gelandet habe er die ersten zwei Monate "Parks besichtigt" oder mit seinen Mitbewohnern über Politik gesprochen. Aber, er will nicht nur fernsehen, "that kills your mind (Das löscht Deinen Verstand aus)", sagt Mirza auf Englisch, seiner zweiten Sprache.
1981 in der drittgrößten Stadt Pakistans, in Faisalabad, im Nordosten des Landes geboren, liege ihm Mathematik im Blut, erzählt der gutaussehende 34-Jährige. Die Note "eins" habe immer auf dem Zeugnispapier gestanden, erinnert sich der spätere Lehrer einer pakistanischen Eliteschule mit 1.000 Schülern. Mit dem Blut muss es tatsächlich zu tun haben. Seine Schwester ist erfolgreiche Statistikerin, sagt Mirza.
Morddrohungen
Weil er in Pakistan immer gesagt habe, was er denkt und glaubt, das für einen Menschen gut ist, sei er schließlich bedroht worden, erzählt er. Mitteilungen auf seinem Handy wie "Tomorrow could happen an accident (Morgen könnte ein Unfall geschehen)", wären Sätze der harmloseren Art gewesen.
"There was a point when I decided to quit", sagt er. "Irgendwann habe es einen Punkt gegeben, an dem ich mit entschied, zu gehen." Nach Stationen in Frankfurt, Essen/Ruhr und Friedland sei er schließlich in Lastrup gelandet.
Nicht gleich zugesagt
Das Angebot, Ihren Kindern in Mathe und Physik helfen zu können, hat Lauras und Melanies Mutter Beate* sich erst mal angehört. Nicht spontan habe sie zugesagt, sondern sich öfter mit der Familie beraten. Sie, die das ‚Haus Wesselmann‘ kannte, da sie beruflich immer wieder dort zu tun hatte. "Dann haben wir‘s einfach mal probiert", sagt Beate. Und ist heute, genauso wie ihr Ehemann, dankbar.
Bei Melanie, der älteren der beiden, hätte sich die Note der Klassenarbeit nach dem ersten Rechnen-Training bereits zum besseren Ende der Skala bewegt.
Einfach "cool"
Ist die Mathematik in Pakistan eigentlich anders als die deutsche Rechenkunst? "Nein", sagt Mirza. Dreisatz gäbe es auch in seinem Land. "Nur manche Formeln sind anders. Wenn ich die für besser halte, zeige ich sie Laura und Melanie auch", sagt der Zugewanderte selbstbewusst in Deutsch und, wenn das nicht genügt, eben in Englisch.
Apropos: Deutsch und Englisch. Als die Verständigung am Anfang mal gar nicht klappen wollte, sei die Übersetzungsfunktion des Handys zu Rate gezogen worden. Einfach "Cool", findet das Laura, die jetzt in die 6. Klasse kommt, dass ihr Nachhilfelehrer aus einem fernen Land stammt.
Auch die Behörde stimmt dem zu
Braucht Shakeel, wie er in der vierköpfigen Familie liebevoll genannt wird, dafür eine Arbeitserlaubnis? "Nein, er bekommt dafür kein Geld, dann muss er eine solche auch nicht beantragen", freut sich der Leiter der Cloppenburger Ausländerbehörde, Hendrik Meyer, über das Engagement.
Shakeels Lohn dürfte jedoch mindestens so wertvoll sein wie Geld: Irgendwie gehört er zur Familie. Als Dank bleibe er öfter zum Abendessen. Er wiederum kocht pakistanischen Tee oder ein Gericht seines Landes und zeigt auch mal Gebetsgegenstände seiner muslimischen Religion. Und bei Festen seiner Nachhilfe-Familie mit weiteren Verwandten ist er gern gesehener Gast.
Erteilt selbst Deutschunterricht
Großer Vorteil für den Unverheirateten, der fünf Mal pro Woche einen Deutschkurs besucht: Seine Sprachkenntnisse werden dadurch noch besser. "Abends gebe ich albanischen Mitbewohnern Unterricht in der hiesigen Sprache." Er, dessen Muttersprache die pakistanische Amtssprache ‚Urdu‘ ist.
Welche Wünsche Shakeel hat? Lehrer in Deutschland möchte er wer-den. Unterstützt wird der Asylsuchende dabei durch Caritas-Mitarbeiterin Anastasia Wilhelm, die die Bewohner im ‚Haus Wessel-mann‘ betreut. Und die ihm auch Pädagogikunterlagen aus ihrem eigenen Studium zukommen lässt.
Wünscht sich eine Zeitung
Aber auch zwei kleinere Wünsche hat Shakeel: An der Universität Vechta würde er gerne eine Mathe-Vorlesung in Englisch halten. Und: Eine Tageszeitung wäre nicht schlecht. "Man muss die Region kennen, in der man lebt", sagt der Nachhilfelehrer.
*Namen geändert
Dietmar Kattinger