Cloppenburg-Stapelfeld. Das „Netzwerk der unterschiedlichen Disziplinen auszubauen“, forderte der parlamentarische Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, Dr. Herman Kues, in Anbetracht kürzlich bekannt gewordener Kindesvernachlässigungen.
Einzelne Fälle könnten nicht mit Sätzen wie „Wir haben alles im Griff“ abgetan werden, kritisierte der Politiker am Mittwoch, 9. Januar, in Cloppenburg-Stapelfeld im Rahmen des Caritas-Fachtages „Frühförderung im Wandel!?“ Risiken und Fehlentwicklungen müssten rechtzeitig erkannt werden. Dies sei nicht nur eine Aufgabe des Familienministeriums, „sondern von uns allen“, sagte Kues. Die Wachsamkeit gegenüber Entgleisungen bleibe eine Daueraufgabe.
Die helfende Rolle der Kirchen und Glaubensgemeinschaften unterstrich in diesem Zusammenhang Landtagsabgeordneter Clemens gr. Macke.
Auch die Gießener Soziologin, Professorin Uta Meier-Gräwe, forderte eine stärkere öffentliche Aufmerksamkeit bei der Erziehung von Kindern. Meier-Gräwe: „Nichts ist so schlimm wie ein gleichgültiges soziales Umfeld.“ Außerdem bräuchte es mehr „passgenaue Hilfen, die die eigenen Ressourcen der Betroffenen mit einbeziehen.“
Durch sogenannte „qualitative Interviews“ habe sie vier Typen von Bedürftigen herausgearbeitet. Bei „Verwalteten Armen“ als erster Gruppe sei häufig schon der Großvater beim Sozialamt bekannt. Vertreter dieser Gruppe schafften es beispielsweise nicht, ihre Kinder bis um 8.30 Uhr in den Kindergarten zu bringen. Zu Unrecht jedoch konzentriere sich die öffentliche Hilfe häufig ausschließlich auf diese Gruppe.
„Erschöpfte Einzelkämpferinnen“ - beispielsweise eine Mutter von sechs Kindern, die durch Trennung in die Armut abrutsche - bliebe die Hilfe von Ämtern dagegen häufig versagt. Dabei seien hier jedoch manchmal nur kleine Hilfen nötig, die äußerst wirksam sein könnten.
„Ambivalente Jongleurinnen“ lebten nach der realitätsfernen Fasson „erst mal leben und dann bezahlen“. „Vernetzte Aktive“ als vierte Gruppe von Armen könnten ihren Mangel an Geld oft durch vorhandene Beziehungen ausgleichen.
Während Frauen sich früher durch Heirat materiell hätten absichern können, sei diese heute nicht mehr der Fall. Im Gegenteil: „Durch Heirat verstärken sich Probleme“, so die Wissenschaftlerin. Partner aus problembeladenen Schichten heiraten einen Mann oder Frau aus ihrer Gruppe. Konflikte potenzierten sich dadurch.
Ebenso heiraten Hochgebildete untereinander, verzichteten aber häufig auf Kinder. Maier-Gräwe: „Der Heirats- und Beziehungsmarkt verstärkt die Ungleichheit in unserer Gesellschaft“.
Auch sei niedriges Bildungsniveau häufig mit schlechten Wohnverhältnissen gekoppelt. Selbst das höhere Vorkommen von Karies in schlechteren Wohngegenden könne nachgewiesen werden.
Weitere Kritik der Professorin: „Es wird zu speziell ausgebildet“. Es könne nicht sein, dass eine Sozialpädagogin in den Wohnungen von Klienten über Müllberge steige mit der Begründung „Das geht mich nichts an. Ich bin für Beziehungsarbeit zuständig.“
Grundsätzlich sei klar: „Kinder müssen satt sein und brauchen genug zu trinken, um aufmerksam sein zu können“, mahnte die Soziologin die aufmerksamen Zuhörer.
Die Lösung liege in „Kooperation statt Konkurrenz“. Was Kinder bräuchten sei Bindung, Sicherheit sowie feste Regeln.
Auf die Veränderung in der Frühförderung ging der Bremer Professor Dr. Jürgen Kuhl ein. Mitveranstalter war das Kardinal-von-Galen-Haus.
Zitat:
„Um ein Kind gut zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“
Professorin Dr. Uta Meier-Gräwe, Gießen
Dietmar Kattinger, Referent für
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,
Tel. 04441/8707-640