Vechta / Münster (LCV). Manchmal sind nur zehn Zentimeter Wade zu sehen. Der Rest der Körper ist verhüllt an diesem Dienstagnachmittag in der JVA für Frauen in Vechta, durch Gewänder und Masken.
Stille in der spartanisch eingerichteten Turnhalle bei den 50 Zuschauern. Wie Profis recken die Frauen ihre Arme in die Höhe - am Anfang nur als Schattengestalten hinter einem riesigen weißen Leintuch zu sehen. Die Finger weit nach außen gespreizt.
Unter dem Titel "Suche Frieden" tanzen und spielen die Inhaftierten das Leitwort des Katholikentags im Mai 2018 in Münster. Frauen, die möglicherweise einen Mord hinter sich haben und noch Jahre gegenüber der Kirche St. Georg wohnen werden. Oder jene, die wegen leichterer Delikte am kommenden Montag entlassen werden.
"Sich selbst im Weg stehen", durchbricht Guilia Knorr die Stille. "Durch Drogen, Alkohol, Gewalt und dem Druck unserer sich rasend schnell bewegenden Welt", fährt sie fort. Als Verantwortliche für die Texte des Theaterstücks hat sie zusammen mit Kunsttherapeutin Terez Fothy seit elf Monaten dieses multidisziplinäre Projekt erarbeitet.
"Wir brauchen gute Beziehungen zu unserer Familie, unseren Partnern und Freunden", lernt das Publikum die Sehnsüchte der Anfang 20- bis Ende 50-jährigen Gefangenen kennen.
Inzwischen vor die Leinwand getreten bewegen sie sich mit teils gekrümmten Rücken, als würden sie die Last ihres Lebens auf sich tragen. "Ich möchte mit den schlechten Dingen abschließen, dann habe ich Frieden", ist weiter zu hören. Untermalt von jüdischen Friedensliedern, mit denen Robert Eilers den Zuschauern mit lauter werdender, zuletzt raumfüllender Stimme Gänsehaut bereitet, begleitet von seiner Frau Christine und einem Chor.
Und dann taucht da neben den finsteren Figuren noch Clown Fridolin auf, gespielt von einer 40-Jährigen im weißen Gewand mit bunten Tupfern drauf.
Immer wieder habe sie die anderen mitgerissen, obwohl sie selbst erst später ins Projekt eingestiegen sei. Weil eine andere Schauspielerin inzwischen aus der Haft entlassen wurde, sagt die Frau mit den vom Tabak dunkel gebräunten Fingerkuppen spontan zu.
"Zum ersten Mal in meiner 26-jährigen Amtszeit in Vechta haben wir damit ein Projekt durchgeführt, bei dem Inhaftierte aus allen Bereichen zusammenkommen", sagt Petra Huckemeyer, stellvertretende Leiterin des Haues. Und nichts sei passiert, ist an diesem Abend zu hören. Die Frauen hätten sich vielmehr auf die drei Stunden Arbeit an jedem Mittwochnachmittag gefreut. Man habe sich herzlich verabschiedet, sei als Gruppe zusammengewachsen.
Zum Beispiel die 27-Jährige, die das vom Landes-Caritasverband geförderte Projekt als "einen Raum der Harmonie" erlebt habe, sagt sie nach der Aufführung inzwischen ohne Maske. Über ihren Schatten sei sie gesprungen und geht dann aber auch gleich weiter zu ihresgleichen, wo sie sich vermutlich sicherer fühlt.
"Ich habe noch nie vor jemandem etwas aufgeführt", sagt eine andere Inhaftierte. Dass Gäste eigens kommen, um ihre Arbeit zu sehen, ist für viele Gefangene eine völlig neue Erfahrung.
Wie relativ äußere Freiheit ist, betont Weihbischof Wilfried Theising am Ende der Veranstaltung. Viele Menschen außerhalb der Gefängnismauer seien innerlich gefangen, sagt Theising verbunden mit seinem Dank an die Inhaftierten. Und schenkt den Schauspielerinnen gemeinsam mit dem obersten Verantwortlichen für die Vorbereitung auf den Katholikentag, Domkapitular Dr. Klaus Winterkamp, eine rote Rose. Und die Zusage, dass Inhaftierte, wenn sie es wünschen, Gäste beim Katholikentag sein können.
Zum Hintergrund:
Die Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta hat 310 Haftplätze - verteilt auf vier Standorte - und rund 180 Mitarbeitende. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Niedersachsen. Zur Vollzugsanstalt für Frauen in Vechta gehört eine Außenstelle in Hildesheim.
Dietmar Kattinger, 30.11.2017