Es hat langsam angefangen: mit Bier, dann Wein, dann viel Wein. In einem Fall Wodka. Viel Wodka. Wie sie den Weg aus der Sucht geschafft haben, erzählen zwei neue Mitglieder einer oldenburgischen Kreuzbundgruppe
Oldenburger Land (LCV) Manchmal schüttelt sie selbst den Kopf, wenn sie daran denkt, was sie alles getrunken hat: Wein, Cognac mit und ohne Orangensaft, Wodka. Die Liste lässt sich kaum mitschreiben. ‚Sie‘, das ist Elisabeth irgendwo aus dem Oldenburger Land. Mitte 50. Elisabeth heißt sie nicht wirklich, die verheiratete Frau und Mutter. Aber ihren echten Namen möchte sie nicht geschrieben sehen. Und Elisabeth gefällt ihr.
"Aber das habe ich alles nur abends getrunken", sagt sie mit großer innerer Klarheit. "Tagsüber musste ich funktionieren."
Den 27. April 2020 vergisst sie nicht, erzählt sie hier in der Runde mit der Leiterin ihrer heutigen Kreuzbund-Gruppe und einem weiteren Betroffenen, jetzt trockenen alkoholkranken Mann. Corona war gerade sechs Wochen alt. Sie hatte eine Verletzung, trug einen Gips. Angelangt war sie bei einer halben Flasche Wodka am Tag. "Was tust Du eigentlich?" habe sie sich gefragt. "Was tue ich mir an? Meinem Mann, meiner Familie?"
Vorausgegangen war ein Gespräch mit dem Hausarzt, bei dem es auch um ihr Trinken ging. Dann die Worte zu ihrem Mann: "Pack mir Dinge zusammen. Ich brauche mal meine Ruhe. Ich muss was für mich klären." Es folgt eine Übernachtung im privaten Umfeld. Der erneute Besuch beim Hausarzt und dessen Worte: "Gehen Sie zur Beratungsstelle der Caritas."
Die Suchtberaterin schiebt sie am nächsten Tag dazwischen, zwei Gespräche finden fortan pro Woche statt bis Mitte Juli, als der Aufenthalt in einer Suchtklinik beginnt.
"Die Gespräche waren mein Halt", sagt die Frau, die nach zwölf Wochen Aufenthalt trocken lebt und sich gut erinnert, wie es vorher war. "Beim Trinken wird man ab einem gewissen Grad laut, kurz angebunden. Man traut sich plötzlich, Dinge zu sagen und anzusprechen, die man sich vorher nicht traut, zu sagen." Die ganze Familie leide drunter, weiß sie heute. Auch wurde ihr im Nachhinein klar, wie viele Menschen wussten, dass sie mehr trinkt, als ihr gut tut. "Dabei dachte ich, ich hätte so gut geschauspielert. Ich dachte, den Wodka würde man nicht riechen." 20 Jahre sei das insgesamt so gegangen.
Und heute: Eine fast unendliche Dankbarkeit; nicht mehr das ständige Denken an Alkohol. "Ich kann gar nicht sagen, wie schön das ist."
Den letzten Satz kann auch Onno unterschreiben. Auch das ist nicht der richtige Name des rund 50-Jährigen, der ebenfalls irgendwo zwischen der Nordsee und den Dammer Bergen lebt.
Weinschorle hat er getrunken. Härtere Sachen nicht. Das immer nach der Arbeit am Feierabend. "Ist ja mehr Wasser als Wein!" hat er es sich schöngeredet. Es wurde immer mehr. "Wo kriegst Du den Wein heute möglichst günstig her?" sei es ihm tagsüber bei der Arbeit irgendwann ständig durch den Kopf gegangen.
An einem Abend im vergangenen Frühjahr werden es schließlich fünf Flaschen Wein ein einem Abend. Zittern am nächsten Morgen, Krämpfe. Anruf beim Hausarzt. Auch hier die ähnlichen Worte: "Gehen sie zur Suchtberatungsstelle der Caritas." Zwölf Wochen Aufenthalt in einer Suchtklinik. "Das fasst Du nie wieder an", habe er sich gesagt. "Nie wieder." Den restlichen Alkohol zu Hause ins Waschbecken gekippt und "als eklig empfunden". "Wie Gülle hat das gerochen", sagt der verheiratete Mann.
Vier bis fünf Jahre habe sein Zustand gedauert, schaut er zurück. Ein Todesfall in der Familie habe es verschlimmert. Und auch für ihn galt: "Getrunken habe ich nur abends. Zum Runterkommen." Als "falschen Hund" kann er den Alkohol heute bezeichnen. Freut sich, dass seine Geschmacksnerven wieder viel besser funktionieren.
Mit zwei weiteren Personen sind sie in der Corona-Zeit in eine Kreuzbund-Gruppe gegangen. Der Selbsthilfe-Organisation, in der sich suchtkranke Menschen regelmäßig treffen. Solche, die ernsthaft ohne Alkohol leben wollen. Ob die Corona-Krise eine Rolle gespielt hat? "Vielleicht habe ich dadurch noch mehr getrunken", sagt Elisabeth. Letztendlich aber doch aus dem Schlamassel herausgefunden.
Der Vorteil, den beide an ihrer gut zehnköpfigen Gruppe sehen: Man könne auch am Wochenende oder in der Nacht jemanden anrufen, zu dem man Vertrauen hat. Das müsse nicht der Gruppenleiter sein. Aber eines ist sowohl Elisabeth als auch Onno klar: "Ein Zuckerschlecken wird die Zukunft nicht."
Weitere Infos: Monika Gerhards, Tel. 04442 / 6313 oder unter www.kreuzbund-lv-oldenburg.de.
Pressemitteilung
„Getrunken habe ich nur abends“
Erschienen am:
25.08.2021
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