Friesoythe / Lohne.
Es ist still im
Raum. Behände gleitet Paula
Tapkens
Zeigefinger über
die rechteckige Buchstabentabelle. Ist sie bei dem Schriftzeichen angekommen,
das ihre schwerstbehinderte Tochter Marion meint, gibt die ihr ein nickendes
Zeichen, das der Außenstehende kaum erkennt und wohl nur Marions Mutter
versteht.
„Mehr Zeit“, das gibt die 33-jährige Marion am
Freitag, 8. März, den Initiatoren des Projektes „Einfach anders“ im Rahmen
eines Pressegesprächs als letztes mit auf den Weg. ‚Mehr Zeit‘ fordert die
junge Frau, die weiß, wie es sich als Behinderte im Krankenhaus anfühlt.
Die Mutter für einige Tage nicht da, der
Vater bei der Arbeit habe sie für kurze Zeit in einem Wohnheim für Menschen mit
Behinderung gewohnt. Ein starker Reflux führt zum Blut-Spucken, Schichtwechsel
im Wohnheim: Der Arzt weist Marion sofort ins Krankenhaus ein.
„Wenn ich daran denke, kriege ich heute noch
Alpträume“, sagt Marion
Tapken
mittels ihres
technisch klingenden Power-
Talkers
. Auch wenn die
Schwestern nett gewesen seien, „fühlte ich mich hilflos“, sagt Marion.
Im Krankenhaus wird sie auf die
Intensivstation geschoben, an Maschinen und Schläuche angeschlossen. Als
endlich ihr Vater kommt, kann sie dem schließlich sagen, dass sie Durst hat. Da
Karl-Heinz
Tapken
den Reflux seiner Tochter
einschließlich des Blut-Spuckens kennt, nimmt er sie auf eigene Verantwortung
sofort mit nach Hause.
Um Fälle wie diesen besser gestalten zu
können, setzen die katholischen Kliniken Lohne und Friesoythe zusammen mit dem
Andreaswerk Vechta und dem Caritas-Verein Altenoythe gemeinsam mit dem
Landes-Caritasverband für Oldenburg künftig das Projekt „Einfach anders“ um.
Mit der Einladung an andere Kliniken, das Konzept zu übernehmen.
Vor allem geplante Krankenhausaufenthalte von
geistig oder schwerst-mehrfach behinderten Menschen sollen so besser gestaltet
werden. Mittels Checklisten und eines Überleitungsbogens soll künftig klar
sein: Woran muss die Schwester vor der Aufnahme eines Menschen mit Behinderung
denken? Wer ist die Kontaktperson? Wer ist im Wohnheim zu welcher Zeit
ansprechbar? Wer organisiert die Entlassung und betreut den Patienten hinterher?
Bisher seien die Krankenhäuser sowohl in
Niedersachsen als auch in den übrigen Bundesländern nach Aussage des
Krankenhausexperten Dr. Martin Pohlmann „darauf nicht eingestellt“.
Dass mehr Hintergrundwissen zum Beispiel beim
Krankenhaus-Personal notwendig ist, hält Paula
Tapken
für dringend notwendig. Bei Ärzten stellt sie gar „eine zunehmende Unsicherheit
im Umgang mit Behinderten“ fest.
Auch der pädagogische Geschäftsführer des
Caritas-Vereins Altenoythe, Andreas
Wieborg
, hält die
Zeit reif für „Einfach anders“: Während die Betreuung von Menschen mit
Behinderungen früher durch Angehörige abgedeckt war, gebe es heute zunehmend
mehr Bewohner, die solche nicht mehr hätten. Häufig entließen sie Bewohner mit
einem unguten Gefühl in ein Krankenhaus.
Für Marlies Gier vom Andreaswerk Vechta
sollten durch das Projekt auch schlicht Missverständnisse vermieden werden oder
Sätze von Krankenschwester wie „Wir haben fünf Mal versucht, Euch zu erreichen,
aber nie war jemand da“ der Vergangenheit angehören. Schließlich dürfe
„Inklusion nicht vor der Krankenhauspforte aufgehängt werden“.
Dietmar Kattinger
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 04441/8707-640