Dinklage / Niedersachsen. Sie ist ruhiger geworden. Ansonsten ist äußerlich alles beim Alten geblieben: hellblau-graue Stickmütze, der passende Wollschal um den Hals, die grell-lilafarbene Decke über den Beinen. "Ich genieße jeden Tag", sagt Jenni.
Seit 21 Tagen lebt die 67-Jährige im Hospiz St. Anna in Dinklage. Genießen, sofern das eben möglich ist bei ihrem überschaubaren Tagesablauf, sagt sie mit einer öffnenden Handbewegung. Der bestehe im Wesentlichen aus Lesen, Essen und der vertrauten Zigarette.
30 Kilometer von ihrer Heimatgemeinde entfernt "fühle ich mich hier wie in einer Familie", sagt die langjährige Gastronomin auf der Terrasse der obersten Etage mit Blick ins Grüne. Das Brummen des Rasenmähers im Hintergrund störe sie ebenso wenig wie das Kindergeschrei aus der benachbarten KiTa. Früher ja, aber heute: "Im Gegenteil."
Sich wie in einer Familie fühlen: Dazu tragen auch die regelmäßigen Fragen der Schwestern bei: "Können wir was tun? Hast Du Schmerzen?" Oder die Tasse Kaffee, die sie auch mal bekomme, wenn sie schon morgens um fünf wach ist.
Dazu trage das ‚Du‘ bei, mit dem die passionierte Skatspielerin und frühere Sammlerin von Überraschungseiern angesprochen wird. "Das haben mir die Schwestern gleich am ersten Tag angeboten." Auch mit der Tochter einer Mitbewohnerin, die auf der Terrasse erscheint, ist das ‚Du‘ selbstverständlich geworden.
Tagein, tagaus an den eigenen Körper denken, der bewohnt ist von Tumor und Metastasen? "Nein, das tue ich nicht", sagt die in Schleswig-Holstein Geborene. "Ich habe keine Angst mehr. Ich fühle mich sicher und geborgen."
Nur neulich, als sie im Gottesdienst mit dabei war und das Lied der Höhner gesungen wurde: ‚Einmal sehen wir uns alle wieder‘ und einer ihrer behandelnden Ärzte selbst mitgesungen habe: Da sei es ihr doch anders geworden. "Rotz und Wasser musste ich heulen."
Jenni hat einen von 240 Plätzen, die es in Niedersachsen in den insgesamt 26 Hospizen gibt. Darunter zwei Einrichtungen ausschließlich für Kinder und Jugendliche. "Tendenz ist insgesamt steigend", weiß Rosemarie Fischer von der Landes-Arbeitsgemeinschaft der Hospize in Niedersachsen. Zum einen, weil sie medial präsenter seien. Zum anderen auch, weil Menschen, die einen Angehörigen in einem Hospiz begleitet haben, die Arbeit dort sehr schätzen würden.
Im Gegensatz zu Palliativstationen, die im Kern "der Krisenintervention und Stabilisierung dienen", seien Hospize "Orte der Spezialversorgung", macht Fischer klar. Für Menschen "mit fortschreitenden Erkrankungen", die nicht in häuslicher Umgebung oder einer regulären Pflegeeinrichtung versorgt werden könnten.
Dass so viele Menschen die Tage in Anbetracht einer unheilbaren Krankheit wie mit der Schere abschneiden wollen, kann Jenni nicht verstehen. "Früher, als ich von einem Bekannten hörte, dass der im Hospiz lebe, dachte ich: ‚Das ist Tod. Jetzt weiß ich: Das ist Leben.‘"
Zahlen, Daten, Fakten:
In Niedersachsen gibt es 26 Hospize (inklusive zweier Einrichtungen für Kinder und Jugendliche) mit insgesamt 240 Plätzen.
Bundesweit gibt es:
214 stationäre Hospize für Erwachsene
14 Kinderhospize
250 Palliativstationen
Als erstes Hospiz wurde 1967 ‚St. Christopher's Hospice‘ in London gegründet.
Die ersten hospizlichen und palliativen Einrichtungen in Deutschland sind in den 80er Jahren entstanden.
Dietmar Kattinger
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 04441/8707-640