Die Landesarbeitsgemeinschaft der Angehörigenvertretungen in Caritaseinrichtungen der Behindertenhilfe in Niedersachsen (LACB Niedersachsen) setzt sich für regelmäßige und proaktive Tests auf das Coronavirus ein. Sie erinnert die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung an das gegebene Versprechen, bei anstehenden Lockerungen im gesellschaftlichen Leben die Menschen mit hohem Risiko bei einer COVID-19-Infektion besonders zu schützen. Sie fordert, dieses Versprechen endlich umzusetzen und mahnt entsprechende Regelungen und Strategien an.
Mitte März traten im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie umfangreiche Betretungs- und Besuchsverbote in den Einrichtungen der Behindertenhilfe in Kraft. Eltern und Betreuer haben die Verbote und die damit verbundenen erheblichen Einschränkungen in der Folge weitgehend mitgetragen, da diese als probates Mittel zum Schutz unserer Kinder und Angehörigen vor dem Coronavirus akzeptiert wurden.
Mit den zunehmenden Lockerungen im gesellschaftlichen Leben und natürlich auch in den Einrichtungen der Behindertenhilfe stellt sich die Frage nach dem Schutz unserer Kinder und Angehörigen jedoch neu. Die Politik hat in diesem Zusammenhang versprochen, dass sie die Personen mit einem hohen Risiko bei einer COVID-19-Infektion besonders schützen will.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat hierzu die „Verordnung zum Anspruch auf bestimmte Testungen für den Nachweis des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ vom 08.06.2020 erlassen. Das Ziel wird in Umsetzung der Verordnung jedoch nur in Teilen erreicht und die Regierung bleibt den besonderen Schutz der Menschen mit einem hohen Risiko in den Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Pflege schuldig.
Das insbesondere Menschen in Einrichtungen und damit auch Menschen mit Behinderung in Wohneinrichtungen besonders geschützt werden müssen, zeigen die Zahlen zum Coronavirus. So belegt eine Studie der Universität Bremen, dass die Hälfte aller COVID-19-Todesfälle im Pflegeheim auftritt, obwohl nur knapp 1 % der Bevölkerung in dieser Wohnform lebt. Zudem ist der Anteil infizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ambulanten Pflegediensten doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung, in stationären Einrichtungen sogar sechsmal so hoch.
(Quelle: Bibliomed Pflege, Artikel vom 12.06.2020, https://www.bibliomed-pflege.de/news/pflegebeduerftige-und-personal-haeufig-von-infektionen-betroffen)
Die Studie dokumentiert mit ihren Zahlen eindringlich, wie wichtig ein Frühwarnsystem ist, das möglichst zeitnah Alarm schlägt, wenn das Coronavirus in eine Einrichtung eindringt. Das kann nur durch regelmäßiges Testen auf das Coronavirus gewährleistet werden. Dabei sehen wir uns mit unserer Forderung nach regelmäßigen Tests auch in Einrichtungen der Behindertenhilfe im Einklang mit der weitüberwiegenden Mehrheit der Mediziner.
Auch Menschen mit Behinderung, die in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe leben, gehören zur Gruppe der Menschen mit einem hohen Risiko für Leib und Leben bei einer COVID-19-Infektion. Es sind Menschen, die überwiegend schwerstmehrfach beeinträchtigt sind und erhebliche Vorerkrankungen aufweisen.
Wir Eltern und Angehörige / Betreuer haben eine „Heidenangst“ davor, dass sich das Coronavirus unerkannt in den Einrichtungen verbreitet und fürchten um Leib und Leben unserer Kinder und Angehörigen, wenn es dazu kommt.
Die in Umsetzung der Verordnung des BMG von der niedersächsischen Landesregierung erlassene Teststrategie halten wir in diesem Zusammenhang für unzureichend.
Sie greift erst dann, wenn sich bei einzelnen Bewohnern oder Mitarbeitern Symptome zeigen und sich das Coronavirus in der Einrichtung so u. U. schon ausgebreitet hat. Zudem muss das örtliche Gesundheitsamt die Tests erst anordnen, bevor sie zu Lasten der GKV durchgeführt werden können.
Wir haben deshalb in der Vergangenheit sowohl die Ministerin Frau Dr. Reimann als auch alle Landräte und Oberbürgermeister der kreisfreien Städte in Niedersachsen angeschrieben und insbesondere Letztere darum gebeten, dass sie auf ihre Gesundheitsämter entsprechend einwirken, damit die Tests auf das Coronavirus in Einrichtungen der Behindertenhilfe verstärkt durchgeführt werden. Leider waren die Antworten überwiegend wenig ermutigend.
Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass hier fiskalische Gründe für die Teststrategie handlungsleitend sind.
So wird in den Antworten darauf verwiesen, dass Test nur eine Momentaufnahme abbilden und am folgenden Tag schon überholt sein können, die Landräte verweisen fast ausnahmslos auf die Teststrategie des Landes und darauf, dass die Gesundheitsämter für regelmäßige Testungen personell nicht ausgestattet sind. Nach wie vor stünden zudem die unverminderte Einhaltung von Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen im Vordergrund.
Lediglich zwei Kommunen, die Stadt Osnabrück und der Landkreis Osnabrück, haben mitgeteilt, dass sie Reihentestungen in den stationären Einrichtungen durchgeführt haben und von den Testergebnissen abhängig machen werden, die Tests ggf. einmalig oder öfter wiederholen zu wollen. Die übrigen Kommunen teilen mit, dass sie die Entwicklung der fortbestehenden Pandemie aufmerksam beobachten werden, um auf Entwicklungen unmittelbar in geeigneter Weise reagieren zu können.
Dabei wäre jetzt die Zeit, sich auf eine mögliche zweite Welle vorzubereiten. Jetzt sind die Infektionszahlen zum Glück niedrig und deshalb ist jetzt die Zeit eine veränderte Teststrategie auch in den Einrichtungen zu schulen, um bei weiteren Wellen der Pandemie entsprechend vorbereitet zu sein. Dabei spricht aus unserer Sicht nichts dagegen, wenn der notwendige Abstrich vom betriebsärztlichen Personal in den Einrichtungen oder, wenn es nicht anders geht, vom Personal der jeweiligen Einrichtung – nach entsprechender Schulung – vorgenommen wird. Die Gesundheitsämter könnten somit vom zusätzlichen personellen Aufwand entlastet werden.
Wir appellieren an die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, dem Schutz der schwächsten Menschen in unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit zu schenken und regelmäßige und nicht anlassbezogene Testungen bei Menschen mit Behinderung in Wohnheimen der Behindertenhilfe zu ermöglichen.
Gerold Abrahamczik
(Sprecher des Sprecherkreises)
In der Landesarbeitsgemeinschaft der Angehörigenvertretungen in Caritaseinrichtungen der Behindertenhilfe in Niedersachsen sind die Angehörigen von rd. 15.000 Menschen mit Behinderung organisiert. Als LACB Niedersachsen vertreten wir die Interessen unserer Kinder, Geschwister, Ehe- und Lebenspartner, die sich wegen der Schwere ihrer Behinderung nicht oder nur sehr eingeschränkt äußern können, sowie unsere Interessen als Angehörige von Menschen mit Behinderung. Wir bringen uns auf der örtlichen Ebene in den Einrichtungen der Behindertenhilfe ein, versuchen den öffentlichen Diskurs zu Fragen der Behindertenhilfe zu begleiten und sind auch auf der Landesebene in entsprechenden Gremien aktiv. Dabei setzen wir uns für die umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben in unserem Land ein. Zudem ist es unser Anliegen, die Angehörigen vor Ort rund um Fragen des Leistungsrechtes und zu allen sonstigen Fragen rund um das Leben mit Behinderung zu informieren und sie in ihrem Tun zu unterstützen.