Büroleute gehen ins Home Office, am Fließband wechselt man in den Schichtbetrieb. Wer mit Menschen arbeitet, kann Corona nur bedingt ausweichen.
In der Behindertenhilfe beispielsweise: "Corona ist für Menschen mit Handicaps eine riesige Herausforderung", erlebt Rosemarie Kolhoff, Psychologin im Andreaswerk Vechta. Der Beginn der Krise sei geradezu ein Schock gewesen für die Beschäftigten in der Werkstatt. "Die Tagesstruktur fehlte von heute auf morgen." Der Arbeitsplatz sei gleichzeitig der Lebensraum.
Große Ängste
"Dort sind die Freunde. Hier ist Spaß." Es gab Einzelne, die große Ängste entwickelt hätten, als auf einmal alles runtergefahren wurde, berichtet Kolhoff. Nähe fehlte. Dieser Schock stecke vielen noch heute in den Knochen.
Daher lebten Beschäftigte der Werkstatt auch im Moment "in einer Habachtstellung". Der Halblockdown mit seinem Wechsel von Lockerung und Anspannung schüre wieder Ängste. In vielen Gesprächen erlebe sie Menschen, die am Weinen sind.
Ausschöpfen, was möglich ist
Ihr Rat in solchen Gesprächen: "Schauen, wo es Lücken gibt: Wo gibt es Freude? Was macht Spaß?" Auch den Fernseher mit den Covid-Spezial-Sendungen mal auslassen.
"So viel Normalität wie eben möglich", fasst sie zusammen. Nicht regungslos wie das Kaninchen auf die Schlange starren, sondern genau das Gegenteil tun: All das ausschöpfen, was möglich ist: "In den Wald gehen, mit Abstand mit einem Menschen sprechen oder telefonfieren."
Besuche sind nicht zu ersetzen
Eine extreme Belastung erlebt derzeit Hannah Bohmann-Laing aus dem Pius-Stift in Cloppenburg. Als Wohnbereichsleiterin arbeitet die 24-Jährige in dem Bereich, in dem viele der Infizierten leben.
Diese bräuchten einfach mehr Unterstützung als sonst, sagt die junge Führungskraft. "Manche sind schlapper, manche verwirrt." Zwar werde mit Facetime und Whatsapp gearbeitet und beispielsweise Zehn-Minuten-Aktivierungen durchgeführt. "Aber Besuche kann man nicht ersetzen."
Nicht jede Infektion geht gut aus
Belastend sei für sie und ihre Kolleginnen auch, dass nicht jede Infektion positiv verlaufe. Eine große Hilfe dagegen die Transparenz und Offenheit, mit der im Pius-Stift von allen Seiten mit dem Thema umgegangen werde. "Es ist noch kein Tag vergangen, an dem nicht eine Kollegin von anderen Stationen gefragt hat, wie es geht und ob sie etwas tun könne."
Und obwohl die Personaldecke auf Grund von eigenen Infektionen oder Quarantäne dünner geworden sei, "sind alle sehr motiviert. Das Team wächst in dieser Zeit noch mehr zusammen."
Doppelte Sorge
Auch den Angehörigen ist sie äußerst dankbar. "Es kommen keine Vorwürfe, warum das jetzt so ist oder kein Hinterfragen." Belastet sei sie durch die doppelte Sorge: "Nichts mit ins Altenheim reinbringen, aber auch am Abend nichts zur eigenen Familie raustragen."
Mit der gleichen Angst lebt Melanie Kornhaß, als Stationsleiterin im Braker St. Bernhard-Hospital für eine Corona-Isolationsstation verantwortlich. Die Angst, sich anzustecken und selbst krank zu werden sei eine mentale Belastung für alle Pflegekräfte. Ein zusätzlicher Stressfaktor: Solange nicht klar sei, ob jemand infiziert ist, müsse jeder Handgriff geplant sein und akribisch sitzen. Jedes Halskratzen, jeder Fieberschub bei einem Nicht-Infizierten müsse einen immer hellhörig machen.
Rund um die Uhr erreichbar
Pflegeschränke in den Zimmern können nicht bestückt sein, schildert Kornhaß. Alle Pflegeutensilien, die im Zimmer gebraucht würden, müssten vor Betreten des Zimmers zusammengestellt werden. "Viel Kopfarbeit", sagt sie, "um Wege zu minimieren". Hinzu käme viel Kommunikation mit Angehörigen.
Und dann die täglich neuen Informationen und Umstrukturierungen. All diese Infos müssten sofort an die Mitarbeiter weitergegeben werden und nicht erst drei Stunden später. "Wenn ich frei habe, informiere ich mich selbst aus der Freizeit heraus", beschreibt sie ihr Vorgehen. Und: "Ich bin als Stationsleitung rund um die Uhr erreichbar."
Keine Angst, aber doch Beklemmung
Was hilft in einer solchen Überlastungssituation? "Das Team trägt", sagt Kohlhaß, ohne eine Sekunde überlegen zu müssen. Trotz eines Pflegenotstands, den es vorher schon gegeben habe, sei sie erstaunt und dankbar, wie motiviert die Mitarbeitenden sind.
Wie überhaupt alles begonnen hat, daran kann sich Danka Zivkovic aus Friesoythe noch genau erinnern. Als Krankenpflegerin auf einer internistischen Station hatte sie Nachtdienst damals. Im März, als am Nachmittag die Stationsleitung den ersten Covid-19 Patienten im St.-Marien-Stift aufgenommen hat. "Ich hatte keine Angst, aber doch ein Gefühl der Beklemmung", erinnert sie sich. Alles sei so still gewesen.
Jeder Patient ist anders
"Über Nacht war dann alles plötzlich alles anders." Arbeitsabläufe hätten sich geändert. "Alles, was wir wussten, war, dass wir nicht viel wussten." Damals dachten wir stark an den eigenen Schutz. Trotz der Kleidung war uns nicht klar, ob das ausreicht. "Wie gefährlich ist das auch für mich?"
Heute hingegen seien sie und ihr Team "in unserem Handeln ziemlich sicher". Zwar gebe es keine Routine. "Denn jeder Patient ist anders." Aber es gebe eben doch Sicherheit, sagt die Frau, die täglich mit Schutzbrille, Maske und Schutzkittel Covid-19-Patienten pflegt.
Grenze erreicht
"Sie bekommen keinen Besuch und sehen nur uns", lauten ihre Worte, aus denen ihre Leidenschaft zu hören ist. "Wenn wir keine Zeit haben, dann nehmen wir uns einfach Zeit." Hätten Sie im März mit den Patienten nur über Corona geredet, sei sie und ihr Team jetzt viel entspannter.
Der große Vorteil eines kleinen Krankenhauses: "Wir arbeiten zwar professionell, aber es ist so wie in einer Familie: Man passt aufeinander auf." Zwei Hygiene-Fachkräfte seien immer ansprechbar. Man könne gegenüber Vorgesetzten auch sagen: "Ich habe meine Grenze erreicht. Jetzt brauche ich Pause."
Was der 44-Jährigen noch hilft? "Die Dankbarkeit der Patienten. Wenn die zufrieden sind, bin ich es auch."
Statement Vorstand Landes-Caritasverband für Oldenburg
Allen im sozialen Bereich Tätigen danken Dr. Gerhard Tepe und Prof. Dr. Martin Pohlmann, Vorstand des Landes-Caritasverband für Oldenburg. "Was Sie täglich leisten, lässt sich im Letzten nur erahnen. Unser Dank im Namen aller Betroffenen dafür, dass viele von Ihnen an und manchmal sogar über ihre Belastungsgrenze hinaus gehen und sich nicht selten selbst dem Risiko einer Infektion aussetzen."
Pressemitteilung
Leisten am Limit
Erschienen am:
18.11.2020
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