Vechta
/ Meppen / Niedersachsen.
Frühförderung hilft. Das ist für die Meppener Fachärztin
für Kinder- und Jugendmedizin, Dr. Dorothee
Veer
, die
Erkenntnis aus einer niedersächsischen Langzeitstudie zu frühgeborenen Kindern.
In Anwesenheit von Verantwortlichen von sechs Frühförderstellen aus dem
Oldenburger sowie dem Emsland hat sie diese am Donnerstag, 4. April, im
Vechtaer
‚Haus der Caritas‘ vorgestellt.
Der Forschung zu Folge sind zwischen 2004 und
2009 von 1202 in Niedersachsen erfassten, vor der 28. Schwangerschaftswoche
geborenen „Frühchen“ 25 Prozent bereits in der Klinik gestorben. Sechs Monate
nach der Geburt seien bei 50 Prozent von ihnen Auffälligkeiten festgestellt worden,
nach zwei Jahren bei 64 und nach fünf Jahren bei 75 Prozent - so das „Niedersächsische
Frühgeborenen Nachuntersuchungsprojekt“.
Mit höherem Alter würden auch leichtere Handicaps
eher sichtbar begründete
Veer
den Anstieg von
Auffälligkeiten. 25 Prozent der untersuchten Kinder waren fünf Jahre nach ihrer
Geburt in allen Bereichen unauffällig. 27 Prozent galten als behindert. Am
Projekt beteiligt haben sich 23 Kinderkliniken sowie 11 sozial-pädiatrische
Zentren in Niedersachsen.
Frühförderung habe den IQ von untersuchten
Kindern teilweise um sieben Punkte erhöht, berichtete
Veer
.
Auch ihr Sozialverhalten sei verbessert sowie die Zeitspanne, in der sich die
Jungen und Mädchen konzentrieren konnten, sei verlängert worden.
Dass Frühförderung statistisch betrachtet
neben den geistigen auch die motorischen Fähigkeiten von Kindern verbessert,
könne nach den Worten
Veers
zusätzlich eine andere Ursache
haben: Eltern von Frühchen packen ihre Kinder ‚häufiger in Watte‘ nach dem
Motto „Geh nicht auf die Schaukel. Das ist zu gefährlich für Dich.“
Während nach Angaben
Veers
1973 kein Frühchen unter 1.000 Gramm überlebt habe, waren es 2008 schon 68
Prozent.
Frühgeborene hätten häufiger
Aufmerksamkeitsstörungen, allerdings ohne Hyperaktivität.
Veer
:
„
Träumerchen
– auf die muss man besonders achten.“
Frühgeborene seien – auch im späteren Leben - eher introvertiert.
Weiteres Argument
Veers
für Hilfen im jungen Alter: „Frühförderung spart.“ Dadurch gebe es weniger
Kinder, die später auf dem Arbeitsmarkt nicht zu Recht kämen. „Frühe Interventionen
bringen mehr als Reparaturen, nachdem Dinge schief gelaufen sind“, fasst
Veer
zusammen.
Eltern riet sie, von Therapeuten zu lernen.
Mit einer dreiviertel Stunde professioneller Hilfe pro Woche könne noch nicht
die Welt verändert werden. Wenn Übungen allerdings täglich gemacht würden, sei weit
mehr zu erreichen.
Möglichst früh Kontakt zu einer Frühförderung
aufzunehmen: das rieten auch die Leiterinnen der Einrichtungen. „Nichts ist schlimmer
als nach drei Monaten intensivmedizinischem Glockenleben nach Hause zu kommen
und niemand ist da.“ Die Erfahrung der Expertinnen: „Je sicherer die Eltern,
desto besser entwickelt sich das Kind.“ Auch wenn Frühfördereinrichtungen keine
Zauberanstalten wären, so würden durch diese Arbeit die Eltern „viel aktiver
als ohne Anleitung“.
Deutlich kritisiert wurde von den
Praktikerinnen, dass häufig „an der Sparschraube gedreht würde“ (Nicole
Nordlohne, Vechta) und dass das Hauptaugenmerk in nicht wenigen Fällen auf die
Finanzen statt auf das Wohl des Kindes gelegt würde. Unverständlich für die
Expertinnen, dass von Zwillings-Frühchen nicht selten nur eines eine
Frühförderung genehmigt bekäme.
Für fatal hält Marita Vox (Meppen) das
Ignorieren von Schwächen durch die jeweiligen Eltern der Früh-Geborenen. „Leugnen
wäre tragisch.“ Hyperaktivität wäre ebenso falsch wie blindes Vertrauen auf den
Satz „Das wird sich schon auswachsen.“
0,4 Prozent aller Geburten in Deutschland
sind Frühgeburten – so Dorothee
Veer
.
Zitat:
„Ich habe nie Zeit gehabt, darüber zu
trauern, dass ich etwas anderes erwartet hatte.“
Mutter eines frühgeborenen Jungen sechs Jahre
nach der Geburt ihres Kindes.
Dietmar
Kattinger
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 04441/8707-640