Bundesweite ‚Woche des Sehens‘ vom 8. bis zum 15. Oktober - Mit 20 sieht er kaum mehr etwas: Sven Blömer aus Lohne – Hirntumor führt fast zum Tode – Größter Wunsch: „Menschen sollen nachfragen, was mit ihm ist“
Lohne (LCV) Er sieht so viel, wie wenn andere aus einem Eisenbahntunnel ins Helle schauen. In Zahlen ausgedrückt: fünf bis sieben Prozent. Anlässlich der bundesweiten ‚Woche für das Sehen‘ vom 8. bis zum 15. Oktober schildert Sven Blömer seine dunklen Tage. Und was ihn durch die schwere Zeit getragen hat.
Es ist September 1994. Sven Blömer, damals 20, fährt mit dem Auto zum Bundeswehr-Dienst nach Hannover. Die Rücklichter der Autos vor ihm verschwimmen. Zehn Zentimeter groß sind sie groß: die Buchstaben, die ihm sein Augenarzt vors Gesicht hält. Der junge Mann aus Lohne kann sie kaum erkennen.
Dabei sind die Augen selbst in Ordnung. Irgendetwas anderes muss es sein. Monate später dann der Satz, den Mediziner vermutlich im Studium genau für solche Situationen lernen: „Da ist etwas, was da nicht hingehört.“ Will sagen: Ein Tumor, der von unten den Sehnerv platt gedrückt hat, wie Blömer es beschreibt. Glücklicherweise ist der gutartig.
„Mein Leben wegwerfen oder kämpfen?“ Diese Frage stellt sich dem in Lohne (Landkreis Vechta) Geborenen und auch heute noch dort Lebenden von dem Tag an häufiger.
Beispielsweise am 17. Juli 1995. Durch Bestrahlung und Cortison-Gabe völlig geschwächt sieht er sein Leben wie in einem Film noch mal vor sich ablaufen. ‚Nahtoderlebnis‘ nennt der allein lebende Mann diesen Moment rückblickend. Schnee und bunte Farben vor seinen Augen. Nur auf Grund einer erfolgreichen Reanimation kann er heute noch jeden Tag im Lohner Park spazieren gehen. Den 17. Juli feiert er immer als zweiten Geburtstag.
Ein Hoffnungsschimmer dann an Weihnachten ´95: „Mein Bruder packt einen bunten Pullover aus und ich sehe das Rot. Das Blau. Die Farben.“ Ein Geschenk Gottes. Zwar habe sich sein Sehnerv damit nicht ganz erholt, aber zumindest ein wenig.
Eine Busfahrt nach Berlin mit 50 weiteren sehbehinderten und blinden Menschen wird ihm zum weiteren Aha-Moment. „Die Fahrt war gut, aber ich konnte niemanden näher kennen lernen“, erinnert sich der heute 47-Jährige.
Und gründet daher 2011 mit fünf gleich Betroffenen eine Selbsthilfegruppe. „Raus aus dem Schneckenhaus“ und „Das Leben findet draußen statt“ lauten die Grundsätze der Initiative. Dabei würde jeder verstehen, wenn Blömer sich in sein Schneckenhaus zurückziehen würde.
In Momenten etwa, wenn ein Kind den heute 47-Jährigen mit der markant-orangefarbenen Brille und seinem Blindenstock im Park sieht und fragt: „Mama, was hat der Mann?“ Die Frage, so sagt Blömer, ist überhaupt nicht das Problem. Im Gegenteil: Gerne beugt er sich zu den Kindern runter und zeigt und erklärt Brille sowie Blindenstock.
Verletzend vielmehr die Antwort der Mutter: „Der Mann ist krank. Mit dem wollen wir nichts zu tun haben.“
Getroffen haben ihn auch Sätze von möglichen Arbeitgebern wie: „Bevor ich Sie einstelle, zahle ich lieber die Abgabe ans Arbeitsamt.“ Einen regulären Arbeitsplatz zu bekommen, hat er daher für sich abgehakt.
Keine Anstellung mehr zu haben, gehörte anfangs zum Bittersten. Ebenso die Aussichtslosigkeit oder Einsamkeit. Im Blick auf Freunde habe sich die Spreu vom Weizen getrennt. Vermeintliche seien verschwunden. Echte dagegen geblieben oder auch neu dazugekommen. In Krisenzeiten wären vertraute Menschen wären eine große Stütze gewesen. Genauso wie sein „Glaube an Gott“ und seine Familie.
Manches kann Blömer heute, manches auch nicht. „Zeitunglesen unter dem Lesegerät: Das macht keinen Spaß“, sagt er. Wohl aber ist er dort mobil, wo er sich auskennt; macht sich Frühstück und Abendessen selbst. Den Mittagstisch gibt es bei Muttern im Haus nebenan.
Obwohl Sven Blömer oft blutige Knie hatte, Verletzungen im Gesicht; obwohl er von einem Auto angefahren wurde, bleibt sein Motto: „Aufstehen und weiter machen.“ Und auch das steht für ihn fest: „Tauschen gegen mein früheres Leben will ich mein jetziges nicht.“
Weitere Infos:
- Infos zu weiteren Gruppen oder der Neugründung von Selbsthilfegruppen: Kontakt- und Beratungsstelle Selbsthilfe, Landes-Caritasverband, 04441/8707-0.
- In Deutschland gibt es rund 1,2 Millionen sehbehinderte und blinde Menschen.
- Im Landkreis Vechta sind ungefähr 500 Menschen sehbehindert oder blind (Quelle: Landkreis Vechta)- Der Lohner Selbsthilfegruppe für Sehbehinderte mit derzeit 14 Mitgliedern trifft sich an jedem dritten Donnerstag im Monat im Industriemuseum Lohne. Weitere Infos: Sven Blömer, Tel. 044428085770 oder unter sven-bloemer@gmx.de. Das nächste Treffen findet am 15. Oktober statt.
- Infos zur bundesweiten Woche des Sehens unter www.woche-des-sehens.de.