Frau Wempe-Muhle, was ist eine ‚Vertrauliche Geburt‘?
Eine vertrauliche Geburt kann dann stattfinden, wenn eine Frau sagt "Ich kann mit einem Kind nicht leben und mich dazu offiziell auch nicht bekennen, möchte es aber auch nicht alleine entbinden, sondern mit medizinischer Hilfe."
Was meint "Ich kann mit einem Kind nicht leben"?
Es gibt Situationen, in denen Frauen zu der Entscheidung kommen "Es geht jetzt nicht. Ich kann auch nicht den normalen Weg der Adoption wählen, weil ich sonst bedroht werde." In bestimmten Kulturkreisen oder auch in einer gut situierten sozialen Schicht, kann es sein, dass eine Betroffene äußert: "Das Kind stammt nicht aus meiner Ehe, sondern ist beispielsweise aus einem Seitensprung entstanden. Ich möchte mit diesem Kind aber nicht alles aufs Spiel setzen."
Da denken sowohl der Gesetzgeber als auch die werdende Mutter stark an sich selbst. Denkt auch jemand an das Kind, das erst mit 16 den Umschlag öffnen darf und erfährt, wer seine Mutter ist?
Ich denke das Gesetz ist entstanden, als ein Spagat zwischen zwei extremen Positionen: Zwischen dem Standpunkt, der sagt, "Jeder Mensch hat einen absoluten Anspruch darauf, zu wissen, woher er oder sie kommt. Denn man weiß aus den Erfahrungen um Adoption, dass es substantiell wichtig ist für adoptierte Kinder, zu wissen, wer ihre leiblichen Eltern sind.
Auf der anderen Seite steht die Position, die sagt "Wir wollen Frauen ermöglichen mit Hilfe und in begrenzter Offenheit ihr Kind entbinden zu können." Denn nichts ist gefährlicher als eine Entbindung ganz alleine.
Wenn man an den Tod des Neugeborenen am Autobahnparkplatz in Bakum vor knapp einem Jahr denkt …
Beispielsweise. Man weiß nicht, was sich dort ereignet hat, aber ich glaube: Es gibt keine Frau, die freiwillig auf einer Toilette ihr Kind entbindet.
Wohin kann ich mich wenden, wenn ich als Frau mein Kind vertraulich gebären möchte?
Die Betroffene kann sich an jede Schwangerschaftsberatungsstelle wenden oder auch direkt an ein Krankenhaus.
…an jedes Krankenhaus!?
An jedes. - Die Kliniken sind verpflichtet, eine Schwangerschaftsberatungsstelle zu informieren.
Alle ihre SkF-Kolleginnen in diesem Bereich wurden zur ‚Vertraulichen Geburt‘ geschult, jetzt haben Sie einen Flyer dazu veröffentlicht. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die ‚Vertrauliche Geburt‘ hier in unserer Region so oft vorkommt. Aber zum Einen lohnt sich jedes einzelne Leben. Zum Anderen sehe ich in dem Gesetz die Chance, Frauen noch einmal auf die Möglichkeit der Schwangerschaftsberatung hinzuweisen, so dass sie sich vielleicht doch noch für ein herkömmliches Adoptionsverfahren oder für das Leben mit dem Kind entscheidet.
Wir haben uns entschieden, in einer Hotline 24 Stunden täglich erreichbar zu sein (Tel. 04441/929090). Es ist nicht realistisch, eine Frau in einer solchen inneren Zerrissenheit am Freitagabend auf Montagmorgen 9 Uhr zu vertrösten - dann, wenn die Beratungsstelle wieder geöffnet hat.
Interview: Dietmar Kattinger