Neuenkirchen-Vörden (LCV) Mit 15 lässt Peter* sich zu einem Dummen-Jungen-Streich hinreißen. Und verliert dabei beide Arme. Weil sich beruflich nichts ergeben hat, ertrinkt er schließlich fast im Alkohol. Als Mann ohne Arme ist er eine Premiere in der Fachklinik St. Marienstift in Neuenkirchen-Vörden.
Peinliches Zurückweichen, inneres Schlucken des Besuchers: Die Hand zum Gruß ausgestreckt erwidert Peter - seinen echten Namen möchte er nicht genannt haben - nicht. Nicht aus Unhöflichkeit. Sondern weil er keine Arme hat.
Wenn ein Moment das Leben auf den Kopf stellt
"Ein Dumme-Jungen-Streich", deutet der heute 36-Jährige diese Minute an jenem Tag, als er 15 war. Bei einem Stromkasten in freier Natur habe sein Körper freiwillig die Verbindung von Plus- und Minuspol gebildet, beschreibt der Mann mit dem östlichen Akzent den schrecklichsten Moment in seinem Leben. Viel Schnee habe gelegen kommt ihm die Szene von damals auch nach 21 Jahren noch genau vor Augen.
Schwarz seien seine oberen Extremitäten schließlich gewesen, als er nach fünf Tagen im Krankenhaus aufwachte. Ohne Amputation wäre er daran gestorben, weiß der heutige verheiratete Vater zweier Kinder.
Fast im Alkohol ertrunken
Das Krankenbett auf zwei gesunden Beinen verlassen, bleibt der berufliche Weg steinig. Zuständige Behörden "hatten keine Idee", sagt Peter. Der Weg zum Bauzeichner knickt ab, weil Baustellen nicht behindertengerecht seien und weil er dieses und jenes nicht alleine durfte.
Was nicht wenigen ‚normalen‘ Arbeitslosen blüht, geschieht auch ihm: Schlafstörungen und dem Nicht-Wissen wie die Situation lösen, folgt der Griff zur Flasche. Aber nicht ein, zwei Bier, sondern "ganz schlimm", erzählt der Mann in Jeans-Jacke, blauer Stoffhose und chicen schwarzen Slippers. Und wiederholt es noch zwei Mal.
Einfacher als gedacht
Vor neun Monaten in Kontakt mit einer Suchtberatungsstelle gekommen, führt Peters Weg Anfang des Jahres für 16 Wochen zu einer ambulanten Therapie in die Fachklinik St. Marienstift in Neuenkirchen. Und wird damit zur Premiere für die Klinik am Rande der Dammer Berge.
Dass sich die Mitarbeiter des Hauses im Vorfeld "einen größeren Kopf gemacht haben, als Peter selbst", gesteht sein Therapeut und Hauptansprechpartner Martin Bietendorf gerne. Etwa, wie der Klient, der seinen Alltag gerne auch mal ohne Prothesen bewältigt, die Türe öffnen würde. Oder den PC bedienen sollte.
Die Maus mit den Füßen bedienen
Für den Mann ohne Arme schon im Vorfeld kein Problem: Die Türe öffnet er mit der Schulter, das Essen lässt er sich klein schneiden und nimmt es direkt mit dem Mund vom Teller. Die Computermaus dirigiert er mit den Füßen und das Malen, das er in der katholischen Klinik für sich entdeckt hat, geht mit Pinsel im Mund. Wie übrigens das exakte Schreiben mit Kuli auch.
Die Wodka-Flasche lernt Peter einzutauschen gegen die Erkenntnis "Meine Probleme muss ich selbst lösen" und gegen die Tatsache, dass ihm die Neuenkirchener zu einer Ausbildung als Medienassistent in Hamburg verhelfen. Die Arme bleiben weg, aber der Sinn kommt.
*Name geändert
Dietmar Kattinger