Predigt Prälat Peter Kossen, Sonntag, 16.08.2015 (Mariä Himmelfahrt)
Anstiftung zum Aufstand
"Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen…" Maria singt ein Revolutions-Lied von dem Gott, der die Mächtigen vom Thron stößt, die Reichen mit leeren Händen wegschickt, die Armen aber reich beschenkt. Das Magnifikat ist ein Lied voller Freude über den Gott, der die Kleinen groß herauskommen lässt.
Die Maßstäbe von Macht und Erfolg stellt dieser Gott auf den Kopf. Wer sich auf Marias Revolutionslied einlässt, riskiert Nebenwirkungen: eine andere Sicht auf die "Sachzwänge" dieser Welt und eine wachsende Ungeduld und Unruhe! "Er stürzt die Mächtigen vom Thron…" - Das ist Gottes Anstiftung zum Aufstand!
Maria: Anwältin für menschenwürdiges Leben
Die Bibel erzählt uns in vielen Geschichten, dass Gott den Menschen Hoffnung macht, dass er ihnen verspricht, ihre Träume und Sehnsucht zu erfüllen. Daran glauben, dass das alles wahr wird, für dich und für mich und für alle Menschen: darin ist Maria heilig und Mutter Gottes und Vorbild der Kirche geworden. Christ-Sein mit Maria heißt, daran zu glauben, dass alle Menschen Kinder Gottes sind und ein Recht haben auf ein menschenwürdiges Leben.
Als Christen haben wir den Mut, die Welt anders zu denken und anders in der Welt zu leben. Papst Franziskus sagt: "Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden." Evangelii gaudium (202).
"Er stürzt die Mächtigen vom Thron"
Gott lässt die Armen zu ihrem Recht kommen. Gott steht auf der Seite der Kleinen und Schwachen. Dann muss die Kirche genau dort stehen. Denn eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts! Die Kirche muss nach den Worten des Papstes zuallererst eine "arme Kirche für die Armen" (EG 198) sein, die an die Ränder der Gesellschaft geht. Ihm sei eine verbeulte und beschmutzte Kirche, die auf die Straße geht, lieber als eine Kirche, die sich verschlossen und bequem an die eigenen Sicherheiten klammere.
Zu den Bedürftigen zählt er auch die Opfer neuer Formen von Sklaverei wie die Ausgebeuteten in der Arbeitswelt und der Prostitution. Es gebe viele Arten von Mittäterschaft, so der Papst; das bequeme Schweigen zähle dazu. "Er stürzt die Mächtigen vom Thron…" - Gott stiftet an zum Aufstand gegen Ausbeutung.
Als Arbeitskraft ausgequetscht und weggeworfen
Maßlosigkeit und Gier haben auch hier bei uns zu schweren sozialen, ökologischen und ökonomischen Verwerfungen geführt. Vielfach wird der arbeitende Mensch herabgewürdigt zum Produktionsfaktor und zur Kostenstelle. In der Fleischindustrie, aber nicht nur dort, wird der Werkvertragsarbeitnehmer in seiner Arbeitskraft ausgequetscht wie eine Zitrone und dann weggeworfen. Ausbeutung ist wieder hoffähig geworden!
Den Menschen immer um seiner selbst willen zu sehen und wertzuschätzen, ihn nicht zu benutzen, ist Grundlage christlicher Ethik. Wenn es darüber schon mal einen Konsens in unserer Gesellschaft gegeben hat, dann ist er jetzt verloren gegangen, mit schlimmen Folgen. "Wachstum" heißt die Zauberformel, die langsam zum Fluch wird. "Wachstum" ist das goldene Kalb, um das alle herumtanzen. Aber: "Wachsen um jeden Preis" macht alle krank: den Menschen und die Schöpfung. Die Folgen sehen wir schon jetzt, auch hier vor Ort. Allein Solidarität ist zukunftsfähig. Alle sollen leben können, auch die Fremden. Marias Lied, das Magnifikat, bezeugt: Gott ist in der Welt.
"...Wie Dreck behandelt"
Er stiftet uns an zum Aufstand gegen den Tod! Menschenwürdig leben können, muss die Ermöglichung guter Arbeit sein, nicht ihr Lohn. Es braucht in unserem Land Gesetze, die das Ausmaß von Werkvertragsarbeit regulieren. Der Vorsitzende der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, sagt: "Wir müssen über den Kapitalismus hinausgehen … Die primitive Vorstellung, der Markt regelt alles, hat sich endgültig als falsch erwiesen."
Wir haben zwar eine soziale Marktwirtschaft; aber ihre Regelungen gelten offensichtlich nicht für alle hier. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder bezahlte Urlaubstage gibt es längst nicht für alle Werkvertragsarbeiter. Das ist doch nicht richtig! Man weiß darum und man lässt es zu! In Bruchbuden hausen immer noch Arbeitsmigranten und werden mit Wuchermieten abgezockt. Trotz aller Diskussionen und Absichtserklärungen hat sich vielerorts wenig zum Positiven verändert; das muss man ganz nüchtern feststellen! Menschen werden nach wie vor wie Dreck behandelt. Ein Umdenken ist nicht erkennbar.
Wuchermieten, Messerpfand, Übersetzer-Entlohnung
Es wird sich nichts verändern, wenn nicht die Behörden wie der Zoll und die Gewerbeaufsicht rechtlich und personell in die Lage versetzt werden, effektiv die Einhaltung von Gesetzen zu kontrollieren! Längst "bewährte" Wege, den Mindestlohn aufzuweichen, sind: Unbezahlte Überstunden; Wuchermieten; Arbeits-Vermittlungsgebühren; "Messerpfandgeld": monatlich 80 bis100 Euro; Übersetzer-Entlohnung; Vorarbeiter-Bestechung; Transport zur Arbeitsstelle; Erhöhung der Schlagzahl (Laufgeschwindigkeit des Fließbands).
Außerdem gilt: Wer 8,75 Euro in der Stunde verdient, steckt noch mitten in prekären Arbeitsverhältnissen und kann eine Familie nicht davon ernähren. Wenn aber doch die Arbeitsmigranten dauerhaft gebraucht werden, müssen sie in der Lage sein, mit ihrer Familie hier menschenwürdig zu wohnen und auskömmlich Geld zu verdienen. Wo dies nicht der Fall ist, stellen die Steuerzahler durch Sozialtransfers die von den Unternehmen zu Unrecht vorenthaltenen Geldmittel zur Verfügung. Das ist nicht zu rechtfertigen! Und die Menschen, die heute trotz schwerster Arbeit arm sind und arm bleiben, das sind die Alters-Armen von morgen; sie werden immer Sozialleistungen brauchen!
Wer hat den Mut, aufzustehen?
Beim Missbrauch der Werkverträge sind mitten unter uns rechtsfreie Räume entstanden, Parallelwelten, richtige Subkulturen. Kinder sind betroffen, schwangere Frauen, Kranke ohne Versicherung…! Arbeitsstrich, Straßenstrich, Drogenhandel, Menschenhandel - alles da, auch in Südoldenburg! Solches nimmt in Kauf, wer diese Parallelwelten und Subkulturen zulässt. - Wer hat den Mut und steht auf und sagt: 'So nicht! Nicht mit uns!'?
In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar hat Papst Franziskus gesagt: "Unternehmen haben … die Pflicht, ihren Angestellten würdige Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne zu garantieren, aber auch darüber zu wachen, dass in den Verteilerketten keine Formen von Verknechtung oder Menschenhandel vorkommen."
Menschen als Nummer geführt
Dass es auch besser geht, hat mir vor kurzem der Geschäftsführer einer Großschlachterei erzählt. Er sagte: "Wir sind dazu übergegangen, unsere Mitarbeiter wieder direkt anzustellen. Wir haben es nicht geglaubt: Aber, es rechnet sich …"
Ausbeutung von Menschen, Sklaverei, "funktioniert" bis heute immer da, wo Menschen als Nummer geführt werden, wo sie kein Gesicht haben, keinen Namen und keine Geschichte. Osteuropäischen Werkvertragsarbeitern geht es vielfach hier bei uns so: Sie sind uns nicht als Persönlichkeiten bekannt, eine große anonyme Gruppe - eine "Geisterarmee". So werden sie ohne schlechtes Gewissen ausgebeutet, gedemütigt und betrogen. "Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen…" - Gott stiftet uns zum Aufstand an: "Beim Stolz Jakobs hat der Herr geschworen: Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen…" (Am 8,7).