Vechta (LCV) Zwei Drittel der Deutschen befürworten laut einer aktuellen Studie die aktive Sterbehilfe. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das hören?
Zum einen die Sorge, dass der innere und äußere Druck auf Alte, Kranke und Pflegebedürftige zunimmt, von solchen Angeboten Gebrauch zu machen, um anderen oder dem System nicht zur Last zu fallen.
Zum anderen frage ich mich, wovor die Menschen Angst und wonach sie Sehnsucht haben. Ich glaube, dass sich viele Menschen davor fürchten, in der letzten Lebensphase Schmerzen ausgeliefert zu sein, einsam oder abhängig zu werden.
Ich meine, die Sehnsucht, die darin deutlich wird, ist nicht die nach dem Tod, sondern die nach einem besseren Leben - in Liebe in Gemeinschaft, danach, begleitet zu werden. Die Menschen sehnen sich nicht nach dem Tod.
Nikolaus Schneider, früherer Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche, würde seine Frau beim Wunsch nach Sterbehilfe unterstützen. Was würden Sie ihm sagen, wenn er Ihnen jetzt gegen-über säße?
Ich habe großen Respekt vor ihm und seiner Frau. Davor, dass Präses Schneider sein Amt aufgeben hat, um ihr beizustehen. Meine Frage an ihn wäre allerdings, ob man unter christlichen Eheleuten den Partner in den Suizid begleiten kann. Da habe ich eine starke Anfrage. Ich glaube, dass das nicht geht.
Selbstverständlich die Begleitung bis an den Rand des Todes. Aber ich halte es für ein schwieriges Signal, die Frau in den Suizid hinein zu begleiten - so jedenfalls habe ich ihn verstanden.
Was ist ihre Botschaft für den Moment des Verfalls?
Dass das Leben nicht sinnlos wird, wenn es von Leid und Gebrechlichkeit, von Demenz und Tod gezeichnet ist. Der Verfall körperlicher und geistiger Kräfte ist nicht der Verfall der Würde.
Ist das auch die Antwort der Katholischen Kirche auf die aktive Sterbehilfe?
Die Antwort ist die Unverfügbarkeit des Lebens am Anfang und am Ende. Die Katholische Kirche lehnt jede Art von aktiver Sterbehilfe und auch die Beihilfe zur Selbsttötung ab. Was unter Umständen ethisch vertretbar ist, ist die sogenannte ‚Passive Sterbehilfe‘. Das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen. Das ist aber kein Herbeiführen des Todes, sondern sein Zulassen.
Die Jungen Liberalen gehen noch einen Schritt weiter und fordern das Recht auf aktive Sterbehilfe auch bei Kindern…
Das halte ich für völlig abwegig. Kinder sind weder geschäftsfähig noch wahlberechtigt und auch nicht rechtsmündig - und das aus guten Gründen. Wenn man ihnen dann diese letzte, tiefste, fundamentalste Wahl überlässt, bürdet man sie ihnen auf. Das halte ich für abwegig und für ganz unmenschlich.
Wenn Sie morgen selbst von einer unheilbaren Krankheit erführen, was wäre Ihr Wunsch?
Der vieler Menschen: Ich wünschte mir, dass Freunde und Verwandte bei mir wären und sich von der Schwere der Krankheit nicht abschrecken ließen. Ich wünschte mir auch gute Fachleute, eine qualifizierte Palliativmedizin und eine gute Seelsorge.
Damit verbinde ich gleichzeitig einen Appell an Kirche und Gesellschaft: Wir dürfen die aktive Sterbehilfe nicht nur verteufeln, sondern müssen gleichzeitig Schutzräume des Lebens eröffnen, in denen würdevoll gestorben werden kann: in Familien, Altenheimen, Krankenhäusern oder Hospizen.
Aber auch der Seelsorger würde sich Menschen am Krankenbett wünschen?
Absolut.
Allerheiligen steht vor der Tür: Steckt darin auch eine Botschaft an die aktive Sterbehilfe?
Ja, der Weg ist immer vom Ziel bestimmt. Das Ziel ist das Ziel, nicht der Weg. Unser Ziel ist das Leben bei Gott. Allerheiligen ist ein Tag, der die Hoffnung stärken soll über das Leben hinaus.
Interview: Dietmar Kattinger, 31.10.2014