Cloppenburg.
Deutlich gegen die aktive Sterbehilfe hat sich am
Donnerstag, 10. Mai, der Gießener Soziologe Professor Dr. Reimer Gronemeyer
ausgesprochen. „Reden Sie den Stimmen der Euthanasie das Wort“, sagte er beim
1. Hospiz- und Palliativkongress im Oldenburger Münsterland vor 250 Zuhörern aus
dem Nordwesten Deutschlands.
Veranstalter waren der Landes-Caritasverband
für Oldenburg sowie das Cloppenburger Bildungswerk. Auch der Direktor des
katholischen Wohlfahrtsverbandes, Dr. Gerhard Tepe, wandte sich gegen den Eindruck,
als sei die sogenannte Sterbehilfe die einzige Art der Unterstützung in der
letzten Lebensphase.
Gronemeyer mahnte eine „Wiedererwärmung der
Gesellschaft“ an. Gerade in Bezug auf Demente käme es darauf an, dass jeder -
gleich dem barmherzigen Samariter - an vielen Stellen etwas mache. „Deutschland
und Europa stehen vor dieser kulturellen Herausforderung, die wichtiger ist als
die Entwicklung der Börsen“, sagte Gronemeyer eindringlich.
Treffe in Afrika ein junger Mensch einen
alten, äußere er sinngemäß: „Ich falle vor deinen Füßen nieder“, berichtete der
Referent. Der Alte entgegne: „Ich nehme das an.“ Gronemeyer: „Ich habe das
Gefühl, dass sich der Sinn des Wortes ‚Altenhilfe‘ ändert, wenn ich den Äquator
überfliege.“ In der nördlichen Hemisphäre bedeute es ‚Hilfe für die Alten‘. In
der südlichen: „Hilfe der Alten“. Das Wissen betagter Menschen sei dort
gefragt, der Respekt vor Ihnen selbstverständlich.
„Hier ist für die Alten nichts geblieben, als
dass sie sich vergnügen“, brachte es der Redner auf den Punkt. Oft seien sie allein.
In Afrika dagegen „lebt kein Alter allein.“
Auch eine Erklärung für die starke Zunahme von
Demenz in Deutschland hatte Gronemeyer: „Wir leben in einer erinnerungslosen
Gesellschaft. Da braucht man sich nicht wundern, wenn die Menschen den Verstand
an der Garderobe abgeben.“ Die Demenz passe bei uns „wie die Faust aufs Auge.“
Demente würden die Gesellschaft jedoch fragen:
„Werdet ihr im Stande sein, Menschen zu ertragen, die alles das nicht sind, was
ihr für wichtig haltet: schnell, effektiv, produktiv?“ Gronemeyer weiter: „Werdet
ihr denen noch Gastfreundschaft anbieten?“
Auf die wachsende Zahl der 105-Jährigen hat
der Essener Chefarzt Dr. Helmut Frohnhofen hingewiesen. Im Jahr 2000 habe es
bundesweit bereits 820 gegeben.
Als skandalös bezeichnete es der Gerontologe,
dass es keine Leitlinien für die Behandlung alter Menschen gebe. Als Ziel der
Gerontologie formulierte der Experte “länger zu leben und weniger lang krank zu
sein.“ Schon ab 30 könne man durch seine Lebensführung positiven Einfluss
darauf nehmen.
Grenzen bei der beispielsweise operativen Behandlung
alter oder hochbetagter Patienten sieht Frohnhofen dann, wenn keine Aussicht
auf Erfolg besteht, sie unzumutbar oder unverhältnismäßig seien. Auf alle Fälle
müssten diese Fragen offen mit den Patienten beziehungsweise deren Angehörigen
besprochen werden.
Für selbstverständlich auch in der Behandlung
von sterbenden Menschen hält der Mediziner, dass jeder, der das Zimmer betrete,
vorher anklopfe. Auch die Frage vor einer Untersuchung „Darf ich die Bettdecke
heben?“ nehme der Patient wahr.
Für Verstorbene gebe es in seiner Klinik ein
Verabschiedungsritual, während dessen ein Gebet gesprochen und die
Lebensgeschichte vorgestellt werde. Auch schreibe der Arzt im Anschluss eine
Kondolenzkarte.
90 Prozent aller Deutschen wünschen sich, zu
Hause zu sterben. Aber 80 Prozent aller Bundesbürger sterben in einer
Einrichtung. Auf diesen Widerspruch hat der Hamburger Krankenpfleger und
Pflegefachwirt Günter Davids hingewiesen.
Dass das Sterben immer noch ein „unliebsames
Thema“ sei zeigt laut Davids der Protest Hamburger Bürger gegen ein Hospiz in
ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. „Da gab es Angst vor dem Leichenwagen.
Angst, dass die Miet- und Grundstückspreise in der Umgebung sinken.“
Ältere Sterbende haben nach den Worten des
Pflegeexperten häufig nicht den Wunsch nach dem Maximalen an Lebenszeit,
sondern eher nach einem runden Lebensabschluss. Sterbebegleitung sei eine Begleitung
im Leben. „Die Leute wollen nicht nur, dass man um sie weint.“
Auf die vielfach noch unbekannten Möglichkeiten
ambulanter Schmerztherapie haben die Chefärzte der katholischen Kliniken in
Cloppenburg und Damme, Dr. Aloys Klaus und Dr. Ralf Hardenberg, hingewiesen. So
gebe es seit 2007 einen Rechtsanspruch auf ambulante palliative Versorgung.
Danach sei es als absolute Neuerung einem Krankenhausarzt möglich, einen aus seinem
Hause entlassenen Patienten zu Hause weiter zu betreuen.
Die Hilfe von Palliativ-Spezialisten komme für
10 Prozent von Menschen in ihrer letzten Lebensphase in Frage. 90 Prozent seien
beim Hausarzt in guten Händen.
„Größtmögliche Lebensqualität zu erhalten“
definierte Klaus als Ziel palliativer Arbeit. Ihr Wesen bestehe aus einer
entsprechenden inneren Haltung, fachlichem Wissen sowie dem Faktor Zeit.
Zitat:
„Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich
will nur nicht dabei sein, wenn es passiert.“
Woody Allen
Palliative Care meint wörtlich
übersetzt: ummantelnde Sorge
Dietmar Kattinger
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel. 04441/8707-640