Damme / Landkreis Vechta (LCV). Laute Bässe dröhnen aus dem Gruppenraum. Im gekachelten Flur hallen sie. Vierjährige hangeln sich an den Metallgeländern entlang und flitzen über Stufen im Jugend- und Freizeitzentrum am Dümmer, als wären sie nicht da.
Das ‚Ankommen im Oldenburger Land‘ zu vertiefen ist das Kernanliegen der Freizeit für 79 einheimische und zugewanderte Kinder, Frauen und Männer, einen Steinwurf vom See entfernt. Lernen, was notwendig ist, um hier auf Dauer zu bleiben. Besser verstehen, wie die neue Heimat so tickt.
Organisiert durch Elisabeth Vodde-Börgerding vom Caritas-Sozialwerk haben Leser der Nordwest-Zeitung die Woche mit 8.600 Euro mitfinanziert.
Offene Münder vieler der insgesamt 49 Kinder, als die kleine Mia aus Damme auf einer hölzernen Laufkugel frei balancieren kann. Auf dem blauen Rund mit knapp einem Meter Durchmesser stehend fängt sie mit hochgereckten Armen gleichzeitig Holzringe. "Das möchte ich auch mal können", scheint mancher Blick der meist schwarzhaarigen Kinder mit offenem Mund zu sagen, als heute Abend vor dem gemeinsamen Grillen eine Stunde lang Zirkus angesagt ist.
"Pam, pa pam pam": Mit einem festen, klaren, wiederkehrenden Klatschen bringt ein FSJ’ler Kinder zwischendurch immer wieder zur Ruhe. "Das sind schon andere Temperamente", sagt Vodde-Börgerding, die die Tage als "anstrengend, aber gelungen" beschreibt.
"Enjoy every moment": die T-Shirt-Aufschrift eines Mädchens, könnte über diese ausgelassene Stunde stehen, in der pubertierende Jungs Mädchen hinterher rennen, die sich wiederum stille Ecken für sich und ihr Handy suchen.
Stillere Teilnehmer: Die gibt es auch. Mütter etwa, die mit oder ohne Kopftuch ihre Kinder bestaunen, wie die beginnen, bunte Plastikteller auf einem Stab zu balancieren. So als wüssten die Frauen auf den Holzstühlen im Halbkreis am Rande des Raumes nicht recht wie ihnen geschieht: Als wögen sie in Kopf und Herz ab, ob es gut ist, so ausgelassen zu sein. Ob die Tochter im freizügigeren T-Shirt herumlaufen soll.
Sie, von denen einer Alleinerziehenden die Teilnahme von ihren Brüdern zunächst verboten wurde, "weil da auch andere Männer sind." Die durch das Reden einer Ehrenamtlichen dann doch mit durfte.
Zu den Ruhigeren gehört auch Alnaser: Seit einem Jahr und genau fünf Tagen ist er in Deutschland. Das weiß er ganz genau. Als hätte er ein Maßband in der Tasche wie es frühere Bundeswehrsoldaten im Blick auf ihre Entlassung zu tragen pflegten, nur zeitlich umgekehrt.
Von einer Schussverletzung sei sie, erzählt er im Gespräch mit dem ehrenamtlichen Wolfgang Hansel aus Holdorf: die trichterförmige Vertiefung an seiner linken Wange. Der Grund für einen Tinnitus und dafür, dass er links kaum mehr etwas hört. Einer seiner Söhne lebe in Düsseldorf, erzählt er, einer in Hamm. Seine Frau mit weiteren drei Kindern im Libanon.
Ruhiger - zumindest bei den Erwachsenen - war es auch am Abend zuvor. 55 Tote hat es da gegeben in der Kurdenstadt Qamishli im Nordosten Syriens, der Heimat vieler Teilnehmer, einer dieser unseligen Anschläge.
Und als gehörte es zur Abgestumpftheit, zur Perversität dieses Krieges: Scherin Silli, Mitarbeiterin beim Caritas-Sozialwerk und gleichzeitig Dolmetscherin, zeigt ein Video. Darauf eine ruhige Straße mit mäßigem Verkehr. Der Film läuft und läuft - und plötzlich zerstört eine Bombe die auf Betonsäulen stehenden Häuser der linken Straßenseite.
Die Sicherheit dieses Hauses in Damme tut den Teilnehmern gut, erzählt die 39-jährige Silli. "Und es ist schön, die Flüchtlinge auch einmal in einem solchen Rahmen zu erleben: ausgelassen, heiter", erzählt sie, die sonst dienstlich mit ihren geflohenen Landsleuten zu tun hat.
Doch nicht nur Heiteres stand auf dem Programm von Montag bis Freitag: Auch der Vortrag einer Vertreterin des Gesundheitsamtes ebenso wie der Besuch einer Schreinerei und eine Bootsfahrt.
"Beim Eis Essen während der Fahrradtour bin ich mit den Erwachsenen ins Gespräch gekommen", erzählt Bernd Frilling aus Steinfeld. "Weil vor allem Kinder es ihm angetan haben", begleitet der 72-jährige Lehrer im Ruhestand die Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak aus dem Kosovo und Afrika die ganzen fünf Tage am Dümmer.
Immer wieder klärt er mit den Männern, was beruflich möglich ist. Dabei sei die Sprache das A und O, sagt Frilling. "Auch für das Selbstbewusstsein." Das haben die Männer schon ein wenig. "Wir lieben Deutschland" und "vielen Dank Deutschland" sagen sie, deren Domäne an diesem Abend der Grill ist.
Dietmar Kattinger, 01.08.2016