Frau Wunn, wenn man durch Städte geht, sieht man muslimische Frauen, die schüchtern auf den Boden blicken. Und es gibt brüllende Kämpferinnen bei einer Demonstration in Köln. Ist die Frau im Islam stark oder schwach?
Im Islam war die Frau ursprünglich eine außerordentlich starke. Die Entwicklung ging aber dahin, dass die Rechte der Frauen in der Ausprägung von Gesellschaften - wie Afghanistan, Saudi-Arabien, Jemen, in ländlichen Gegeneden von Pakistan tatsächlich ganz erbärmlich sind. Bis dahin, dass kindliche Frauen fast wie eine Ware behandelt werden. Das ist die schwache Seite.
Im Islam hat sich inzwischen aber ein genuin islamischer Feminismus ausgebreitet. Der beruft sich auf den Islam, gräbt in alten islamischen Schriften. Die erste Frau Mohammeds war beispielsweise eine ganz unabhängige Frau, die ihm selbst den Eheantrag gemacht hat.
Genau solche Frauenbilder aus der Frühzeit werden jetzt von muslimischen Feministinnen bemüht. Darauf stützen sie sich, wenn sie jetzt Politik machen. Das ist der kämpferische Typ, den sie auf den Demonstrationen erleben.
Stichwort Kind: Immer wieder kommt es vor, dass muslimische Kinder nicht mit ins Schullandheim dürfen oder, wenn sie ins Schwimmbad gehen, einen ‚Burkini‘, also einen Ganzkörperbadeanzug tragen müssen. Was sagen Sie dazu?
Das sind Überreste eines teilweise noch sehr restriktiv gelebten Islam. Wobei genau das nicht im Islam verankert ist. Das sind regionale und ethnische Überbleibsel. Nehmen wir mal Afghanistan: Gerade in den ländlichen Gebieten ist die Rolle der Frau sehr ungünstig. Den Islam gibt es dort teilweise erst seit 150 Jahren. Schon vorher waren die Frauen dort das minderwertige Geschlecht. Der Islam hat sich da drauf gepflanzt und hat den Frauen also nicht geholfen. Aber das ist kein im Islam verankertes Frauenbild.
Sie sind selbst also nicht begeistert, wenn ein muslimisches Mädchen nicht mitfahren darf ins Schullandheim….
Nein, das bin ich überhaupt nicht. Das hat nichts mit der Rolle der Frau ursprünglich im Islam zu tun. Das hängt mit der Verfasstheit des Islam zusammen und andererseits mit dem Vorgehen unserer Politik, die da keine klare Linie zieht. Wenn wir Einwanderungsland sind und sein wollen, müssen wir auch ganz klar sagen, wie wir uns Einwanderung vorstellen. Welche Rechte die Frau hat, wie bei uns die Ausbildung ist und was wir von denjenigen erwarten, die zu uns kommen.
Was müssten Politiker sagen?
Wir haben das Problem, dass wir gewöhnt sind, mit Kirchen zu verhandeln. Die Kirchen sind religiöse Organisationen, die eine Struktur haben, da gibt es Ansprechpartner. Es gibt ein Dogma und einen gewissen Zwang, dieses Dogma einzuhalten. Wer also katholisch ist, hat in gewisser Weise die Pflicht, dieses Dogma zu glauben und es zu leben. Wenn nicht, passt er eben nicht mehr in die Kirche und muss austreten. Denken wir an die Ehe in der katholischen Kirche. Diese Linien kennt jeder christliche Gläubige. Daran müssen sich auch Professoren und Lehrer halten. Dies ist Inhalt von Staatsverträgen.
..und im Islam?
Es gibt im Islam - aber auch im Judentum - keine Kirchen oder kirchenähnliche Strukturen, es gibt kein Dogma. Sie können im Islam eigentlich glauben, was sie wollen. Sie müssen nur zustimmen, dass Gott, also Allah, einzig und Mohammed sein Prophet ist. Ob sie viele andere Dinge glauben oder nicht, ist ihnen komplett selbst überlassen. Das ist eine Riesenproblematik. Das führt dazu, dass die vielen Moscheegemeinden, die wir hier haben, ein Riesenspektrum von Vorstellungen beherbergen.
Jede Moscheegemeinde arbeitet ja auf Vereinsbasis: Die Vorsitzenden dieser Vereine fühlen sich in keiner Weise berechtigt, gegen bestimmte Lehren vorzugehen: Weder gegen solche, die Frauen unterdrücken, noch solche, die in Richtung Radikalität hin tendieren. Denn glauben kann man ja, was man will.
….So kann es also zu Ausprägungen kommen, wonach Kinder nur stark bedeckt in Schwimmbäder dürfen…
Im Koran heißt es lediglich, dass man sich sittsam verhalten und kleiden soll. Es wird nur von den Frauen eingefordert, nicht von den Männern. Das ist eigentlich unislamisch. Aber es gibt keine Institution, die das einklagen kann.
Stichwort Vollverschleierung: Was sagt die Islamexpertin dazu?
Vom Koran her gibt es keinen Grund für muslimische Frauen, sich überhaupt zu verschleiern. Aber es gibt natürlich die entsprechenden religiösen Gelehrten, die sagen: Eine muslimische Frau hat möglichst viel Haut zu bedecken. Das Gleiche finden Sie auch im Judentum.
Gehen wir auf die praktische, alltägliche Ebene: Es gibt in Deutschland, in Europa viele Frauen, die das Gefühl haben, dass sie als Musliminnen, dass ihre Religion des Islam schräg angekuckt, in irgendeiner Form abgewertet wird. Dann kommt so eine Haltung auf wie "Jetzt erst recht." Oder: "Ich bestehe darauf, dass ich Muslimin bin. Hier gibt es eine Religionsfreiheit, also laufe ich jetzt zum Trotz mit Kopftuch oder sogar mit einer dieser stärkeren Verschleierung herum."
…Obwohl es von der Lehre des Islam her nicht notwendig wäre…
Genau.
Was wünschen oder fordern sie von muslimischen Frauen in Deutschland?
Von muslimischen Frauen fordere ich gar nichts. Mein Wunsch geht an die Aufnahmegesellschaft: "Beurteilen Sie die muslimischen Frauen doch zunächst nicht als muslimisch und werten sie diese nicht ab. Nehmen sie diese Frauen als das, was sie sind: als Frauen, als Menschen." Oder als deutsche Frauen. Als Spielart des Deutschen. Wenn wir das tun, wird sich der Rest von alleine ergeben.
Interview: Dietmar Kattinger
Hinweis:
"Frauen, Islam und Einwanderung - ein neues Frauen-Bild für Deutschland?" lautet das Thema der Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Dr. Ina Wunn (Hannover) am Donnerstag, 8. September, um 19 Uhr in der Katholischen Akademie Stapelfeld.
Veranstalter sind die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands und die oldenburgische Arbeitsgemeinschaft des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). Für die Teilnahme ist eine Anmeldung erforderlich unter Landes-Caritasverband für Oldenburg, Jutta Scheele, Tel. 04441/8707-0.
Pressemitteilung
Wenn das Kopftuch aus Trotz getragen wird
Erschienen am:
12.08.2016
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