Lohne (LCV) Monika Gerhards mag ihn nicht: den Begriff des ‚Schulverweigerers‘. Zwar gibt es sie. Die, die irgendwann sagen "Ich hab keinen Bock mehr". So wie Jennifer*. Nach gutem Hauptschulabschluss und den ersten beiden Tagen in der Handelsschule taucht sie dort längere Zeit nicht mehr auf. "Ich hatte keine Lust", sagt die 17-Jährige an den nackten Eiche-Furniertischen im Lohner Caritas-Integrationszentrum. Stattdessen habe sie ausgeschlafen und sich mit Freunden getroffen. Die hätten schon gearbeitet und zu der Zeit eben frei gehabt.
Ihr Schulschwänzen allerdings ist nur ein Mosaikstein, der zum jähen
Ende in der regulären Paukerstätte führt. Ihre Schulpflicht erfüllt die hübsche, junge Frau mit osteuropäischem Akzent nun in der Möbelkammer in der Lohner Außenstelle des Vechtaer Jugendförderwerkes.
Nicht faul, sondern ein Praktiker
Aber es sind eben nicht nur Jugendliche wie Jennifer, für die gilt "Schuften statt Schule". Sondern auch solche wie Kurt*.
Ebenfalls 17 zählt er zu denen, die man einfach als ‚Praktiker‘ bezeichnen muss. Auch er erfüllt sein verpflichtendes 10. Schuljahr, in dem er im Auftrag der Jugendwerkstatt Wohnungen räumt und Möbel aufbereitet.
Der Vertrag ist unterschrieben
Ob er es schon einmal bereut hätte, Schränke zu schleppen statt Schulbank zu drücken? Eindeutig "Nein"! Ab August winkt dem zufrieden wirkenden 17-Jährigen ein Ausbildungsplatz zum LkW-Fahrer in einem südoldenburgischen Speditionsunternehmen. "Der Vertrag ist unterschrieben", lächelt er stolz.
Den Begriff des Schulverweigerers weist er für sich ebenso wie Monika Gerhards von der Lohner Caritas-Jugendwerkstatt entschieden zurück. Er will arbeiten. Ist fleißig. Nur Schule ist einfach nicht sein Ding.
Irgendwann den Anschluss verloren
Dass "jeder anders ist und eine andere Form der Hilfe braucht" zeigen auch - und das nicht selten - Jugendliche wie Admir*. In Deutschland geboren, im Alter von vier Jahren ins südeuropäische Heimatland seiner Eltern umgesiedelt; mit zehn wieder hier her gekommen und später noch mal ins Wurzelland umgesiedelt, fehlen dem Wanderer zwischen den Welten schlicht und einfach die Sprachkenntnisse.
Und dann beginnt der Teufelskreis, schildert neben Monika Gerhards auch Ulrike Schlosser vom Jugendförderwerk Vechta und seit 30 Jahren in dem Bereich tätig. "Irgendwann den Anschluss an die Fächer verloren, weil sie Vieles rein sprachlich nicht verstehen, führt es früher oder später dazu, dass die Schüler im Unterricht nur noch äußerlich anwesend", erleben die Pädagoginnen nicht selten. Schulverweigerer? Für sie eindeutig das falsche Wort!
Reif - und doch noch nicht reif
Ein weiteres trägt für Schlosser dazu bei, dass die "Jugendlichen heute ganz anders sind als vor 30 Jahren". Nicht selten arbeiten beide Eltern und sind morgens beim Aufstehen der Kinder nicht da: ein Bild für das Familienleben insgesamt. Und die früheren, echten Freunde, von denen mal eine aufrüttelndes Wort kam, gäbe es häufig nicht mehr. Facebook-Freunde seien weit weg und oft keine echten Wegbegleiter.
Einen weiteren, gravierenden Unterschied zu früher sieht Schlosser: "Jugendliche nabeln sich heute viel früher ab", beobachtet sie. "Weil sie glauben, reif zu sein, was sie in Wirklichkeit aber noch gar nicht sind." Eltern seien da oft hilflos. Ein Grund, warum Gerhards mit Vorwürfen gegenüber Müttern und Vätern vorsichtig ist.
Prälat Kossen: "Ein Rucksack an Leid"
Dass der katholischen Kirche diese Jugendlichen nicht gleichgültig sind, zeigt eine Personalentscheidung. Vom Offizialat finanziert und durch den Landes-Caritasverband umgesetzt wird der Pädagoge Heinz Hagl mit einer halben Stelle künftig als Dienstleister für die sechs katholischen Jugendwerkstätten im Offizialatsbezirk Oldenburg arbeiten. 96 Plätze gibt es dort, von denen jährlich 300 bis 400 Jugendliche profitieren.
"Es ist teilweise schockierend, welchen Rucksack an Leid die jungen Menschen mit sich tragen", begründet Prälat Peter Kossen, gleichzeitig Vorsitzender des oldenburgischen Caritasrates, das Engagement der Kirche. In der Regel wollten diese Jugendlichen arbeiten, seien dazu aber noch nicht in der Lage.
In kleinen Schritten denken
300 Plätze gibt es für sie insgesamt, so das niedersächsische Kultusministerium. Vier davon im Landkreis Vechta, elf im Landkreis Cloppenburg, weiß Heinz Hagl.
Auch wenn es für Gerhards und Schlosser bei ihren Jugendlichen keine ‚Sieben-Meilen-Stiefel‘ brauchen, sondern "in kleinen Schritten denken", freuen sie sich über kleine Erfolge. Etwa dann, wenn Jennifer ihre Fingernägel nicht länger abkaut, sondern sie wachsen lässt und hübsch lackiert. Weil jemand aus der Jugendwerkstatt sie darauf hingewiesen hat.
Zur Info:
Eigenständige Jugendwerkstätten in katholischer Trägerschaft gibt es in Cloppenburg, Friesoythe, Barßel-Harkebrügge, Lohne, Löningen und Vechta. Von den 96 Plätzen und insgesamt 20 Mitarbeitern profitieren pro Jahr zwischen 300 und 400 Jugendliche, welche die Werkstätten zwischen sechs und zwölf Monaten besuchen.
Text und Fotos: Dietmar Kattinger