Goldenstedt (LCV) Das Schlimmste kann man nur erahnen. Seit fünf Monaten wohnen sie in Goldenstedt im Flüchtlingswohnheim. Sie, die 37-jährige Mutter Vanja mit ihrem sechs Wochen alten Sohn Stefan auf dem Schoß, ihr 43-jähriger Mann Zoran und der 11-jährige große Sohn Nemanja. Die Familie aus Montenegro.
Bei wem das Wort ‚Wirtschaftsflüchtling‘ auch nur am Horizont seines Denkens auftaucht, dem dürfte es im Halse stecken bleiben, lange vor jedem Aussprechen.
Das dritte Kind ist gestorben
Denn es gab noch ein drittes Kind, eine Tochter. Sie sei vor zwei Jahren gestorben, übersetzt ein serbischer Mitbewohner im Heim der Gemeinde Goldenstedt, das seit 22 Jahren vom Caritas-Sozialwerk betrieben wird. Am Freitag, 23. Oktober, hat Caritasdirektor Dr. Gerhard Tepe es gemeinsam mit Bürgermeister Willibald Meyer besucht.
"Gestorben wegen einer falschen Medizin", nennt der Vater als Todesursache für seine verstorbene Tochter und deutet eine Spritze am Arm an. Jede Nachfrage wird erstickt von den immer tiefer rot werdenden Augen seiner Frau, von den Tränen, die jedes weitere Gespräch zu beenden drohen.
Ausgemergelt, einfach älter wirkt das Paar, als ihr Pass es in Wirklichkeit angibt. Einen Wunsch an die Zukunft können die beiden nicht nennen. "Wir sind froh, hier leben zu dürfen." Der Besucher ahnt, dass ein Dach über dem Kopf, die Aussicht auf regelmäßiges Essen, dass das Wissen um einen Arzt für den neugeborenen Sohn Stefan, dass dies alleine schon wie ein Himmel auf Erden sein muss.
6 Quadratmeter für einen Erwachsenen
Konkret besteht dieser Himmel aus sechs Quadratmetern pro Person in dem 22 Jahre alten Heim mit seinen 45 Plätzen. 290 gibt es im Offizialatsbezirk in Trägerschaft der Caritas. Für viele wäre das kein Paradies. Und doch hat die Goldenstedter Einrichtung etwas davon. "Nemanja, komm her", begrüßt Leiterin Annette Wilke den schlaksig hereinkommenden 11-Jährigen. So, als wäre es ihr eigener Sohn.
Sie, die sich mit Sozialamtsleiterin Marianne Heyng duzt. Welche wiederum die Vornahmen vieler Bewohner auswendig kennt. Die heute noch weiß, wer im letzten Jahr ausgezogen ist.
Leicht die Sprache verschlägt es dem Besucher, wenn Bürgermeister Willibald Meyer sich nach diesem und jenen Bewohner erkundigt. Ihre Vornamen kennt oder sich nach einem bestimmten Paar erkundigt.
Caritasdirektor dankt
"Das Heim gibt es nur, weil es von der Nachbarn und den Goldenstedtern insgesamt so gut angenommen wird", schaut er dankbar auf die 22 Jahre zurück.
Deshalb ist Direktor Tepe in die Gemeinde am Moor gekommen. "Es hätte auch ein anderes Haus sein können", sagt er. Aber stellvertretend möchte er allen im Oldenburger Land danken, den Haupt- und Ehrenamtlichen, die im Moment denen zur Seite stehen, die alles aufgegeben haben. "Integration ist nur zu schaffen, wenn alle daran mitwirken", so Tepe.
Flüchtlinge streichen Raum in Werder-Grün
19 Paten gebe es in Goldenstedt, die 28 Flüchtlings-Kinder betreuen. Alle Jungen und Mädchen würden, im Gegensatz zu Notunterkünften, sofort zur Schule und zum Kindergarten gehen, sagt Wilke.
Und auch Zugewanderte könnten dazu ihren Beitrag leisten, lädt Meyer ein. Im Goldenstedter Heim hätten sie noch am Tag zuvor den Aufenthaltsraum selbst gestrichen - in Werder-Grün. Vom für die Besucher mit fünf Kuchen liebevoll gedeckten Tisch ganz zu schweigen.
Bürgermeister wünscht sich mehr Arbeitsgelegenheiten
Die Integration fördern wird auch, wenn vier Kinder auf Grund eines Zuschusses künftig regelmäßig reiten dürfen. Wenn sie Schnupperstunden für’s Tennis-Spielen bekommen und sowohl das Müttercafe und das ‚Cafe international‘ fortgeführt werden können.
Nur Arbeitsgelegenheiten, die wünscht Meyer sich mehr für die männlichen Bewohner: Praktika oder die Gelegenheit, zu hospitieren. Und wenn eine Flüchtlingsindustrie entstehe, die Mieten oder Preise für Wohncontainer in die Höhe schnellen lassen: Das bringt den ansonsten heiteren und gelassenen Bürgermeister auf die Palme.
Text: Dietmar Kattinger, 23.10.2015