Vechta / Münster (LCV). Von "Oase" ist die Rede, vom "Tor zum Chillen" und davon, wie gut es Ihnen tut, ‚hier‘ dabei zu sein. Hier in diesem l-förmigen Raum in einer oberen Etage der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta. Hier, wo zwei von drei elektrischen Nähmaschinen rattern. Wo acht Frauen gespannt um einen Tisch sitzen.
Frauen, die ihre Entlassung greifen können. Welche aus dem "Offenen Vollzug" und welche, für die "An der Propstei 10" in Vechta noch lange ihre Anschrift sein wird. Im Blick auf deren Taten die Worte ‚Drogen-‚ und ‚Kaufsucht‘ fallen. Taten, die sich bei den ‚Langjährigen‘ ahnen lassen.
Hier, vor hellgelben Resopaltischen, an denen das Furnier an der einen und anderen Stelle fehlt, inhalieren und kauen, drehen und wenden die Verurteilten zwischen 20 und 60 die beiden Worte "Suche Frieden" - das Motto des kommenden Katholikentags in Münster".
In dem Raum mit der Küchenzeile in der hinteren Ecke, mit den schmucklosen Schränken links neben der einzigen Türe beschäftigen sie sich seit Jahresbeginn an jedem Mittwoch von 13 bis 16 Uhr damit, was der Friede mit ihnen zu tun hat.
Finanziell unterstützt durch den Landes-Caritasverband wird am Ende ein etwa 20-minütiges Theaterstück stehen, das Mitte November neben mehreren Gästen auch Weihbischof Wilfried Theising sehen wird.
"Wenn man tot ist, hat man Frieden", provoziert die südländische Frau, die ihre schwarzen Haare hinter einem hellblauen Kopftuch verbirgt. "Oder was soll sonst Frieden sein?", beschreibt sie resigniert, dass man ja nur dann wirklich seine Ruhe habe. "Aber dann merkst Du ja nichts mehr davon", kontert eine Jüngere. "Ohne Drogen - das ist Frieden", setzt sie ihre Hoffnung dagegen.
Mit ‚Gewaltfrei leben‘, ‚Komplimente‘ oder ‚Lob‘ hatten andere die Frage beantwortet, was für sie Frieden bedeute.
"Drei Stunden", freut sich die stellvertretende Leiterin der JVA für Frauen, Petra Huckemeyer, "so lange dauert normalerweise keine solche Einheit. Höchstens mal 90 Minuten." Und ist dankbar dafür, dass sich Gefangene, ausgelöst durch das Katholikentags-Motto, erstmals in ihrer 26-jährigen Amtszeit haus- und abteilungsübergreifend erleben und kennenlernen.
"Die Familie", antwortet eine junge Frau auf die zweite Frage des Projekts ‚Was versperrt mir den Weg zum Frieden?‘ "Die Familie: Dann, wenn sie in der Zeit der Haft nicht hinter mir steht."
In dieser Gruppe dagegen sei man wie eine gute Familie geworden, schildern die Teilnehmerinnen. Angeleitet durch Kunsttherapeutin Terez Fothy und Guilia Knorr, die alle Texte verantwortet.
Das sei im Alltag nicht immer so. Da könne es schon Neid oder gar Streit geben, nur weil jemand mal eine Scheibe Käse mehr auf dem Teller habe als die Nachbarin. Im Alltag sitze man auch schon mal in seiner Zelle, grüble und spüre seinen Suchtdruck.
Im ‚multidisziplinären Kunstprojekt‘ - wie es offiziell überschrieben ist -, helfe man sich dagegen hin und wieder aus mit Tabak oder gebe einander ein tröstendes Wort "einfach so nebenbei", wenn jemand zum Beispiel vor einer Verhandlung stehe.
In die Figuren des künftigen Theaterstücks hineingeschlüpft, in ‚Naomi‘, ‚Friedolin‘ oder die nachtaktive ‚Hofftolie‘, "kann man sich auch mal öffnen", sagt eine junge Frau. Denn öffnen tue man sich im Alltag nicht immer.
Wenn nach den kunstvoll gestalteten Masken auch die Kostüme und Gewänder fertig sein werden, wenn die Fragen "Über welche Brücke kann ich gehen? Wo möchte ich ankommen im Blick auf den Frieden?" als dritter Teil ihres Theaterstückes beantwortet sind, hoffen sie, innerlich weiter zu sein. "Denn Frieden suchen wir ja alle."
Ob sie ihr Stück beim Katholikentag in Münster zeigen können, ist noch offen. Tun würden sie es auf jeden Fall gerne.
Dietmar Kattinger, 25.09.2017